GESCHWISTERKONGRESS IN EISENACH
1882

„Zum Photographen lenkt man dann die Schritte, wie hätte es auch anders können sein, als daß wir nach der guten alten Sitte, zusammen ließen uns abkonterfei'n."

Obere Reihe: Johannes Weiß, Anna Weiß (geb. Erbslöh), Carl Schniewind, davor Clara Schniewind (geb. Erbslöh), Albert Erbslöh, Johanna Erbslöh (geb. Schuchard, Alberts Frau), Anna Elisabeth Erbslöh (geb. Linkenbach, Adolfs Frau), Adolf Erbslöh, Julius Erbslöh, Laura Erbslöh (geb. Wittenstein, Julius‘ Frau). Untere Reihe: Walter Erbslöh, Helene Erbslöh (spätere Weskott), Mutter Adelheid Erbslöh (geb. Wesenfeld), Ewald Erbslöh, Hugo Erbslöh.



CHRONIK

Zur Erinnerung an den
Geschwisterkongeß in Eisenach
30. August - 3. September 1882
O Eisenach, liebliches Städtchen
An der stolzen Wartburg Fuß,
Im schönen Thüringerlande
Dir sei gewidmet mein Gruß!

Dein werde ich stets gedenken,
Nie vergessen werd ich die Zeit,
Die in Eisenach jüngst ich durchlebte,
Die Tage der Liebe und Freud.

Im lieblichen Hörschelthale
Da fehlt es an Gästen zwar nie,
Denn jeder weiß, wieviel Schönheit
und Reichthum Natur ihm verlieh.

Drum tagen dort bald die Juristen,
Bald Naturforscher, auch Äskulap
Sandte dorthin jüngst seine Söhne
Zur Bereichrung der Wissenschaft ab.

Doch eine solche Versammlung
Fand in Eisenach selten wohl statt,
Wie sie dort vor wenigen Tagen
Zusammengefunden sich hat.

Von Amerikas fernem Gestade,
Von der Wupper geschäftigem Strand,
Aus Magdeburgs weiter Ebne,
Aus Rübezahls fruchtbarem Land,
Von allen Seiten sie kamen,
Und als man's genau besah,
Da war eine Mutter mit vierzehn,
Sage vierzehn Kindern da.

Sie ließen zu Haus die Geschäfte,
Seelsorg' und was sonst ihre Pflicht,
An alles dieses zu denken
War jetzt ihre Aufgabe nicht.

Jetzt war der Geschwisterliebe
Gewidmet ihre Zeit
Und der Liebe zur treuen Mutter
Waren diese Tage geweiht.

Nur einer fehlte im Kreise;
Mit Schmerz wurde seiner gedacht,
Wie hätten den teuren Vater
Die Tage glücklich gemacht.

Doch da fällt mir ein, eine Chronik
Soll eigentlich sein dies Gedicht.
's ist also Zeit, daß nunmehr,
Was alles gescheh'n, ich bericht:
PROLOG
Viel Dinge gibt es auf Erden,
Die grade nicht sehr sind begehrt;
So zum Beispiel, wenn einen ganzen
Tag man auf der Eisenbahn fährt.

Da wird im Anfang geplaudert,
Geraucht auch wohl, aber zumeist,
Wird in der Regel geschlafen;
Das weiß jeder, der mal gereist.

So ging es auch Muttern und Kindern,
Wie allen noch wohl bewußt,
Anni currentis Mittwoch
den dreißigsten August.

Wie fröhlich waren drum alle,
Als glücklich beendet die Fahrt,
Und im Glanze der sinkenden Sonne
Die Wartburg man endlich gewahrt.

Zuerst kamen an die von Möckern,
Dann trafen die Schlesier ein,
Und als nun der Zug kam von Barmen,
War'n alle da, außer zwein.

Es sei mir erlassen zu schildern
Die erste Begrüßungsscen',
Man bedenke, daß Adolf und Anna
Sich fünf lange Jahr nicht gesehn.
Als endlich dann des Umarmens
Und Händeschüttelns genug,
Begab sich in Alberts Wohnung
Der lange Geschwisterzug.

Hier besah man von oben bis unten
Das neue, stattliche Haus.
Dabei dachte jeder, der Albert,
der hat's entschieden heraus.

Drauf Johanna sprach: liebe Helene,
Du bleibst mit der Mutter bei mir,
Ihr anderen findet im Löwen
Ein passendes, hübsches Quartier.

Man trennte sich also vorläufig,
Doch nach Verlauf einer Stund'
Waren alle schon wieder versammelt
Zu fröhlicher Tafelrund.

So ward denn der Rest des Abends
Gemüthlich mit Plaudern verbracht,
Und besonders wurde der beiden,
Die unterwegs noch, gedacht.

Besonders aber der Eine
Machte Kopfzerbrechens uns viel.
Ihr wißt ja, welchen ich meine,
Drum schweige ich davon still. -------

ERSTER TAG

Am Donnerstage hatte kaum die Sonne
Begonnen ihren lichten Tageslauf,
Als aus des süßen Morgenschlummers Wonne
So einer nach dem andern wachte auf.

Zum Bahnhof bald den nächsten Weg wir wählten,
Wo mit dem Zug von Bebra kurz vor neun
Albert und Hugo, die uns gestern fehlten,
Wie sie versprochen, pünktlich trafen ein.

Es war uns allen eine große Freude,
Als beide sprangen von dem Wagentritt;
Und als begrüßt wir sie nun alle beide,
Ein sanftes Lächeln über Hugos Antlitz glitt,

Was darin lag, ich kann es nicht beschreiben,
Doch sicher hatte jeder das Gefühl:
Der wird nicht lange Junggesell mehr bleiben,
Drum, liebe Kinder - in Erwartung - still!

Darauf begab man langsam sich nach Hause,
Und, da bis elf noch eine Stunde Zeit,
Spaziert von hier aus man in die Karthause,
Wo Blumenflor und Aussicht uns erfreut.

Doch weder Wartburgblick noch Blumenzierde
Konnt fesseln heute Bruder Hugos Blick,
Der mit der Mutter auf und ab marschierte,
Er schaute nur in seiner Zukunft Glück.

Zum Photographen lenkt' man drauf die Schritt.
Wie hätte es auch anders können sein,
Als daß wir nach der guten alten Sitte
Zusammen ließen uns abkonterfei'n!

Da ward nun lange hin und her berathen,
Man mußt' sich setzen, stellen, legen hin,
Bis alle endlich Platz gefunden hatten,
Und jeder sich placiert nach seinem Sinn.

Dann trat der Photograph zu seinem Glase
Und sprach: So - nun recht freundlich - bitte
Doch grade hatte sich auf Julius' Nase jetzt -
'ne dreiste dicke Fliege hingesetzt.

Da war's vorbei natürlich mit der Platte;
Wer hätt' das böse Tier auch nicht verscheucht?
Die dreiste dicke Fliege aber hatte
Für diesmal wirklich ihren Zweck erreicht.

Viel besser ging es dann zum zweiten Male;
Zwar wurde diesmal Anna attaquirt,
Jedoch - bewundern mußten wir sie alle -
Sie hielt es aus und hat sich nicht gerührt.

Doch dreie sind ja aller guten Dinge;
Wir wurden nochmals drum photographiert,
Damit das Bild auf jeden Fall gelinge;
Und sieh', es hat zum guten Ziel geführt.

Zu Beck nunmehr alle sich begaben,
Nur Hugos Aufgab war noch nicht erfüllt,
Denn, wenn man sich verlobt, so muß man haben
Für seine Braut doch ein getreues Bild.

Wir andern tranken unterdes vergnüglich
Ein Gläschen Petersberger Gerstensaft,
Und schöpften daraus weis' und klüglich
Nach schwerer Arbeit wieder neue Kraft.

So war der Morgen schnell uns hingegangen,
Und bald war es zum Mittagessen Zeit,
Bei dem gar hell die vollen Gläser klangen;
Der Mutter war das erste Hoch geweiht.

Auch Karlen drängte es, ans Glas zu klopfen,
Ihr wißt wohl noch der Rede Gegenstand;
Er sprach ja als Vertreter der fünf Tropfen,
die uns verbunden durch der Liebe Band.

Gar wichtig ist's und interessant zu wissen,
Wie schwer wohl eines jeden Körper sei,
Denn in der Regel kann man daraus schließen
Auf die Gesundheit und sonst mancherlei.

Drum ließ nach Tisch man eine Waage bringen,
Und was mit dieser nun ward konstatirt,
das sei, weil nützlich es zu manchen Dingen,
Genau in dieser Chronik angeführt.

Die größte war natürlich Hansens Schwere,
Da hundertdreiundsiebzig Pfund er wiegt,
Und ein Beweis dafür, daß Liebe zehre,
Sind Hugos hundertsiebenundfünfzig nicht.

Auch Adolf, kann man sagen, wiegt nicht wenig,
Hat er doch hundertdreiundfünfzig Pfund,
Und Walter ist bei hundertdreiundvierzig
Verschnupft zwar, aber sonst doch ganz gesund.

Einhundertzweiundvierzig Pfunde brachte
Dann ferner Bruder Albert auf die Waag',
Und ebensoviel Karls Gewicht ausmachte,
Auch dieses ist genug noch ohne Frag'.

Der schwersten einer bist Du nicht, o Julius,
Denn hundertneununddreißig ist nicht viel.
Noch vier Pfund schwerer aber Ewald sein muß,
Wenn er mal hundertdreißig wiegen will.

Von allen Damen jetzt wog am meisten
Die Laura, hundertdreiunddreißig Pfund,
Die Mutter kann sich hundertdreißig leisten,
Zehn weniger ist Hänschens Summe rund.

Einhundertsiebzehn Pfund wog Adolfs Anna,
Die andre Anna aber wen'ger noch,
Denn sie, die schlank wie eine schöne Tanne,
Einhundertvierzehn Pfund gerade wog.

Genau so viel auch auf Helene kamen,
Und Klaras hübsche Zahl ist hundertelf.
Addiren alles wir nunmehr zusammen,
So haben grad zweitausend wir und zwölf.

Und wer am Rechnen nun noch hat Gefallen,
Der rechne aus, was Ihr schon lange wißt
Daß Laura in der Mitte steht von allen,
Daß sie der Durchschnitt der Familie ist.

Als nun die große Wiegerei geschehen,
Und jeder kannte seines Körpers Last,
Brach bald man auf, zur Wartenburg zu gehen,
Wohin in Eisenach ja jeden Gast

Und jeden Wandrer seine Füße tragen.
Wir klommen einen steilen Weg hinan,
Auf dem man zwar ein wenig sich mußt' plagen,
Doch glücklich kamen alle oben an.

Zu Anfang bot sich eine klare Aussicht,
Weit konnte schaun man über Berg und Thal,
Doch lange dauerte das leider garnicht,
Denn bald verschwand der letzte Sonnenstrahl.

Darum besorgt' uns Albert schnell ein Zimmer,
Das Schutz uns bot vor Regen und vor Wind;
Drin waren heiter wir und froh, wie immer
Glückselge Menschen es zusammen sind.

Auch fehlt es diesmal nicht an vielen Witzen,
Gute und schlechte waren's, alt und neu;
Und wer poet'sche Gaben thät besitzen,
Der dichtete drauf los ohn' jede Scheu.

Damit nun aber nicht verloren gehe,
Was auf der Wartburg da ward fabriziert,
Und zur Erinnerung in der Chronik stehe,
Hab ich's an dieser Stelle aufnotiert:


Postkarte an Onkel August und Tante Adeline:

Hochverehrte, liebe Tante,
Theurer Onkel und Verwandte!
Oben von der Wartburg Kante,
Wohin die Familie rannte,
Man schon manchen Gruß entsandte,
Weil das Herz von Lieb' entbrannte,
Und man draußen Schirm aufspannte,
Und dies uns ans Zimmer bannte,
Dichterisch wie ehmahls Dante
Theilweis aus dem Helgolante
Ganz piano und andante
Grüßen Dich, o liebe Tante
Theurer Onkel! Anverwandte.


Poetischer Gruß an Alberts Schwiegereltern:

Einen guten Schwiegervater
Unser Bruder Albert hat er?
Ja, er ist ein guter Mann,
Wer ihn hat, der ist gut dran.
Doch die Schwiegermutter, Brüder,
Ist ihm noch bedeutend über.
Ja, wer solche Eltern hat,
Dem ist wohl in Land und Stadt.
Und sie haben, wißt Ihrs schon?,
Einen „Staat" von Enkelsohn!


Antwort auf obiges Gedicht:

Als heute Dein Gedicht wir lasen,
Packt uns die Rührung übermaßen;
Daß Zeit man fand, an uns zu denken,
Den Pegasus hierher zu lenken.
Wir senden Gegengruß mit Dank
Für den so wohl gelungnen Schwank.
Uns hier der blasse Neid erfaßt;
Wir wären gern bei Euch zu Gast
Bei soviel Heiterkeit und Glück.
Doch „murre nicht mit dem Geschick",
Spricht Vater Otto wohlbedacht,
„Den Kindern jetzt Glückssonne lacht.
Wir unterdes die Äcker pflügen,
Daran laß, Mutting, Dir genügen."
Gut Heil! zum schönen Rendezvous
und 1000 Grüße noch dazu
Von Vatting u. Mutting.

Allmählich ward es Zeit nun, daß nach Hause
Man ging, damit es nicht zu dunkel würd!
Zwar regnete es jetzt fast ohne Pause,
Was junge Leute aber nicht genirt.

Viel Lieder wurden unterwegs gesungen;
Die Clara stimmte in der Regel an.
Zwar hat es gerade nicht sehr gut geklungen,
Doch keiner singt ja besser als er kann.

Am Abend wurde feierlich begangen
Bei Albert sein und Hänschens Hochzeitstag.
6 Jahre schon, wie schnell sind sie vergangen,
Haben verlebt sie nun in Eisenach.

Möge des Glückes Sonnenschein auch weiter
Hell strahlen in ihr freundlich, gastlich Haus
Und mögen viele Jahre froh und heiter
Und glücklich sie drin gehen ein und aus.

So wurde denn durch schöne Abendstunden
Beschlossen dieses schönen Tages Lauf.
Dann wünschten alle sich einen gesunden
Und guten Schlaf, und dieser folgte drauf.

ZWEITER TAG

Schon lange hatten die Schatten der Nacht
Am Freitag dem Sonnenlicht Platz gemacht,
Da erhoben wir uns von den Kissen.
's war eigentlich leider schon viel zu spät,

Denn, bewaffnet mit einem Blumenbouquet,
Wollten Albert und Hans wir begrüßen.
War eigentlich heut doch ihr Hochzeitstag.
's war schad, wir kamen so nach und nach

Erst zu ihrem Haus gegen neune,
Und weil nun der Albert denkt,
Morgenstund, Die hat, auch für den Bierbrauer, Gold im Mund,
So trafen wir Hänschen alleine.

Begleitet von einer schönen Red'
Ward überreicht ihr das Blumenbouquet.
Augenscheinlich macht' es ihr Freude.
Dann wurde entworfen ein Schlachtenplan
Und konstatiret, wie heute man sich Unterhaltung bereite.

Diesem Plan entsprechend begaben darauf
Die Herrn sich zum Petersberg hinauf,
Um Inspection dort zu halten,
Ob mit Fleiß und Arbeit und vielem Verstand
Schuchard und Erbslöh, die Firma bekannt,
Ihr Geschäft noch thäten verwalten.

Und man kam zu 'nem günstigen Resultat,
's war alles in Ordnung, und in der That,
Das muß jeder eingestehen,
Ihr Bier neues Leben und Kraft einem bringt,
Zumal wenn man's gleich vom Fasse trinkt.
Drum getrost konnt von dannen man gehen.

Die Damen hatten nun währenddem,
Dieweil der Spaziergang sehr schön und bequem,
In's Johannisthal sich begeben
Dort sollten die Herren sie aufsuchen dann,
Doch, wie man das häufig finden kann
In unserem menschlichen Leben,

Ließen sie den ursprünglichen Plan im Stich
Und begaben statt dessen zu Gröblern sich,
Weil der grade lag an dem Wege,
Was übrigens gern zu verzeihen ist,
Dieweil man im Sommer nicht gern vergißt
Des trockenen Gaumens Pflege.

Auch war diese Abweichung ja sehr klein,
Und im übrigen hielt man den Schlachtplan ein,
Punkt ½ 1 waren Kinder und Mutter
Im Löwen versammelt im Speisesaal
Und aßen, - es gab unter anderem Aal,
Und sonstiges gutes Futter.

Dabei unterhielt man, wie immer, sich gut,
Nicht schlecht auch war das Rebenblut
Und nachher der übliche Kaffee,
Und als dann die Mittagsruhe vorbei,
- Es war so ungefähr gegen ½ 3 -
War's Zeit, daß man auf sich raffe.

Vor der Thüre standen drei Wagen bereit,
Drin hatten wir Platz mit Bequemlichkeit,
Und fort ging's in flottem Trabe.
Zuerst durch das schöne Marienthal,
Gar hell erglänzt' es im Sonnenstrahl,
Als ob selbst es Freude dran habe.

Bald kam man am Ende des Thales an,
Von da führt der schattige Weg bergan,
Hinauf bis zur Hohen Sonne,
Von wo jener herrliche Durchblick sich beut,
Des immer von neuem man sich erfreut,
Auf die Wartburg, Thüringens Krone.

Und weiter, nach kurzem Aufenthalt,
Gings, tiefer hinein in den grünen Wald
Unter lustigem Plaudern und Singen.
Bald hatte man auf die Aussicht Acht,
Bald mußt' man bewundern des Waldes Pracht,
Und das Herz thät vor Freude springen.

Wo der Weg Nach Ruhla hinabführt ins Thal
Verließ man den Wagen zum andern Mal,
Um zu dem Gasthaus zu wandern,
Von dessen Terrasse man auf die Stadt
Und Gegend 'ne herrliche Aussicht hat,
Die nachsteht wohl wenigen andern.

Dann ging es allmählich nach Eisenach zurück;
Im Thal bot sich noch ein schöner Blick,
Den man auch noch mußte genießen.
Doch konnt' man sich nicht mehr lang halten auf;
Zum Löwen fuhr man in schnellem Lauf,
Um dort den Tag zu beschließen.

So nahte der Abend. Zum letzten Mal
War'n da wir versammelt in voller Zahl,
Denn schon morgen in aller Frühe
Schlug für Karl und Clara die Abschiedsstund,
Woran leider niemand was ändern kunnt
Trotz aller gegebenen Mühe.

Nun war, da die beiden mußten nach Haus,
Der eigentliche Kongreß zwar aus,
Zu unserem großen Betrüben,
Doch da der folgende Tag, wie Ihr wißt,
Von ganz besonderer Wichtigkeit ist,
So sei auch er hier noch beschrieben.

DRITTER TAG

Ach wenn doch die Nacht schon vorüber wär!
Wär der Brief doch schon eingetroffen!
Und schlaflos wälzt' er sich hin und her,
Das Herz voll Verlangen und Hoffen.

O Hugo, von allen, die Du durchwacht,
Ward so lange Dir wohl noch keine Nacht.
So gedankenschwer und voll Sorgen
Hast Du nie wohl erwartet den Morgen.

Doch einer gesunden Rudernatur
Macht 'ne schlaflose Nacht nichts zu schaffen.
Drum merkte man davon auch keine Spur
Als am Wagen wir wieder uns trafen,

Um das liebe Möckernsche Ehepaar,
Das, weil nun mal nichts dran zu ändern war,
Der Amtspflicht gehorchend mußt scheiden,
Zum Bahnhof hinab zu begleiten.

Adieu denn, Ihr Lieben, auf Wiedersehn;
Und wenn was sollte passieren,
Vermuthlich wird es noch heute geschehn,
So werden wir telegraphieren.

Noch ein letzter Gruß mit dem Taschentuch,
Und vorwärts brauste einteilend der Zug.
Der Hugo aber dachte:
„Ob der mir den Brief wohl brachte?"

Nur Geduld, der kommt schon zur rechten Zeit.
Jetzt woll'n wir mal erst uns besinnen,
Was bei dem schönen Wetter heut
Wir gemeinsam werden beginnen.

Gar herrlich ist's in der Landgrafenschlucht,
Ein Spaziergang, der seinesgleichen sucht.
Also dorthin, nach kurzem Bedenken,
Beschloß man die Schritte zu lenken.

Nur Bruder Hugo blieb lieber zu Haus,
Setzt' sich in den Löwengarten
Und schaute nach dem Briefträger aus,
Der ihn vergeblich ließ warten.

Wir erfreuten indes uns an Waldesduft
Und der köstlichen, reinen Morgenluft,
Und sprachen - wozu es verhehlen? -
Viel von Helgoland, Hugo, Adelen.

Auf dem Rückwege ward in der „Phantasie"
Ein Frühstück eingenommen.
Auch mußt' nach des Wegs überstandener Müh'
Ein Imbiß vorzüglich bekommen.

Doch so ein Haufen von Butterbrod,
Der würde nach unsrem Ermessen
Zwölf Handwerksburschen bringen in Noth,
Sollten sie ihn auf einmal essen. -

Wenn vergnügt nun der Morgen vergangen war,
Der Nachmittag war es nicht minder;
Denn solch eine herrliche Fahrt fürwahr
Mußt' erfreuen Mutter und Kinder.

Wollt' ich schildern die herrlichen Aussichten
Auf Wälder, Wartburg und Wilhelmsthal, all,
Ich fürchte, daß ich das Ende
Von der Beschreibung nicht fände.

In Wilhelmsthal ward zunächst in den Park
Ein Spaziergang unternommen
Und dann, unser Durst war ziemlich stark,
Ließ 'ne Tasse Kaffee man kommen.

Zum Glück war auch eine Obstfrau da,
Die uns mit „Schibbelpflaumen" versah;
Wer nämlich davon eine haben wollt,
Dem wurde sie über den Tisch gerollt.

Bruder Hugo war heut ungewöhnlich still,
Was ich aber selbstverständlich
Ihm garnicht zum Vorwurf machen will,
Schien die Wartezeit ihm doch unendlich.

Ja, angenehm ist's nicht, soviel ist gewiß,
Wenn einer sich so am Verloben is
Und wartet auf Antwort stündlich. -
Da sagt man's doch besser mündlich. -

Doch im übrigen hatte er guten Mut
Und dachte: ihr lieben Leute,
Was lange währet wird endlich gut,
Das zeige sich denn auch heute.

Und wirklich, es kam, wie er sich's gedacht;
Zwar, da wir zurück erst kehrten um acht,
War die Post schon zugeschlossen,
Doch das hat ihn nicht verdrossen.

„Bruder Albert ist ja in Eisenach bekannt,
Drum wird auch der Stephansjünger
Gefällig sein gegen ihn und galant",
Und also sprechend ging er.

Und triumphierend kam er zurück,
Mit strahlendem Blick verkündend sein Glück:
„Vorbei alle Liebessorgen,
Nach Helgoland fahre ich morgen."

So hatte den schönen, erwünschten Schluß
Das Verlobungsdrama gefunden.
Nur eines bereitete ihm noch Verdruß;
Das waren die vielen Stunden,

Die er auf der Eisenbahn zubringen mußt',
Bevor er sie schließen konnt an seine Brust,
Die Geliebte seiner Seele,
Das Engelskind Adele.

Wir anderen aber waren froh,
Und theilten sein Glück von Herzen;
Hatt' der Junggesellenstand des Hugo
Uns doch lange genug gemacht Schmerzen.

Wie that es uns aber von neuem jetzt leid,
Daß Clara und Carl nicht dabei waren heut.
Carl würde ans Glas wohl klopfen:
„Es lebe der 6te Tropfen".

Bei muntern Gesprächen saßen wir
Vereint noch zu später Stunde.
Und damit auch Clara bald erführ
Und Carl die Freudenkunde,

Verfaßte für sie man ein Telegramm.
Auch Vetter Alexander bekam
'ne telegraph'sche Anzeige,
Die lautete: „Schwager - schweige".

Auch war, fast vergaß ich's, unser Bild
Diesen Abend angekommen
Und hat uns mit großer Freude erfüllt,
Als in Augenschein wir es genommen.

Denn wenn auch ein kleiner Fehler dabei,
Im Ganzen war es doch gut und getreu.
Hugo machte sichs schleunigst zu eigen,
Um's seiner Adele zu zeigen.

VIERTER TAG

Abschiedsstunde, Abschiedsstunde!
Dich auch jetzt noch zu besingen
Sei nun meine letzte Aufgab.

Zwar, ich möchte fast Dir danken,
Weil ich jetzo kann beenden
Meinen ungewohnten, theilweis
Sauren Ritt ins Reich der Verse,
Und hinab nun wieder klettern
Kann von meinem Pegasus.

Suchte er doch ungeduldig
Oft den ungeschickten Reiter
Einmal gründlich abzusetzen,
Bockte, macht' gewaltge Sprünge,
Wollte manchmal nicht recht weiter.

Aber doch stimmt fast mich traurig
Die Erinnerung an diese
Bittre Stunde unsres Abschieds.
Ach, wie hätten wir so gerne
Sie noch weit hinausgeschoben.

Konnte keiner uns doch sagen,
Wann das nächste Mal wir wieder
Sorgenlos und froh und glücklich
Würden uns zusammenfinden.

Doch - die Pflicht gebot dem einen,
Und den andern zog die Liebe,
Und so hieß es eben - scheiden -.

Einmal noch warn wir versammelt
In dem Haus des lieben Albert,
Um mit schäumendem Pokale
Anzustoßen auf die Zukunft:
Daß sie Glück und Segen bringe
Unserm lieben jungen Brautpaar;
Anzustoßen auf das Wohl auch
Unsrer lieben teuren Mutter,
Daß noch viele, viele Jahre
Sie uns mög erhalten bleiben
So in Frische und Gesundheit
Wie sie heute saß im Kreise
Der geliebten Schar der Kinder;

Anzustoßen schließlich darauf,
daß es nicht zu lange daure,
Bis uns wieder einmal alle
Unser Weg zusammenführet,
Und wir wieder dann so schöne
Glückliche Familientage,
Sei es in der alten Heimath,
Sei's wie diesmal in den schönen
Waldigen Thüringerbergen
Oder auch an anderm Orte
Uns'res lieben Vaterlandes,
Mit der alten Lieb im Herzen
Froh und glücklich werden feiern.

Und mit diesem inn'gen Wunsche
Will ich denn die Chronik schließen.
Eurer Nachsicht sie empfehlend
Läßt Euch alle herzlich grüßen



Der Verfasser.

SCHLUSS