CHRISTIAN SCHREIBER
THEOLOGE, PHILOLOGE, PHILOSOPH
 
CHRISTIAN SCHREIBER

Theologe, Philologe, Philosoph, Dichter und Lyriker, Erziehungswissenschaftler, reichsritterschaftlich Fuldaischer, dann kurfürstlich Hessen-Kasseler Kirchenrath, Großherzoglich Sächsischer Superintendent der Diöcesen Lengsfeld und Dermbach in Stadtlengsfeld, Doctor der Philosophie


° 15.04.1781 Eisenach
†15.08.1857 Ostheim vor der Rhön

CHRISTIAN SCHREIBER
EISENACH

BIOGRAPHIE



„Skizze einer Selbst-Biographie von Christian Schreiber", handschriftlich in: Kirchenbuch des Ev.-luth. Pfarramtes in 36457 Stadtlengsfeld/Thüringen, um 1827, nebst Überarbeitungen des Verfassers um 1852.

Veröffentlichung:
Biographie des Christian Schreiber in: Karl Wilhelm Justi, „Grundlage zu einer Hessischen Gelehrten- Schriftsteller- und Künstler-Geschichte vom Jahre 1806 bis zum Jahre 1830“, Fortsetzung von Strieder's Hessischer Gelehrten- u. Schriftsteller-Geschichte und Nachtrag zu diesem Werk, Garthe, Marburg 1851, S. 833 ff., (Bibliothek der Universität Marburg)

Abschrift 1996: Bremer Werkstatt, korrigiert, redigiert und mit Fußnoten und einem Stichwortverzeichnis ergänzt: Dr. Peter Appelius und Andreas Erbslöh, 1996.

Mit einem Vorwort und einer Einführung von Peter Appelius

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Dr. Peter Appelius
Einführung in Christian Schreibers Selbstbiographie

Etwa um 1827 wurde Christian Schreiber von seinem Freund, dem Verleger Karl Wilhelm Justi in Marburg, aufgefordert, seine Lebensgeschichte für das geplante Druckwerk „Grundlage zu einer Hessischen Gelehrten-, Schriftsteller- und Künstler-Geschichte vom Jahre 1800 bis 1830" aufzuschreiben.

Schreiber ist dieser Aufforderung mit einer Schrift unter dem Titel „Skizze einer Selbst-Biographie von Christian Schreiber" nachgekommen. Sein Manuskript ist in Justis Werk 1831 in Marburg erschienen.

Uns liegt zum einen das handgeschriebene Exemplar der Autobiographie und zum anderen der fotokopierte Auszug aus Justis gedrucktem Werk vor. Eine Analyse ergibt folgendes: Schreiber hat das Manuskript nicht selbst geschrieben, denn es ist von ihm nicht unterschrieben sondern nur abgezeichnet worden. Außerdem sind mit einer anderen Handschrift Nachtragungen eingefügt. Von diesem Manuskript muß es noch eine Zweitschrift gegeben haben, denn in Justis Druckwerk finden wir Zusätze und Verbesserungen, die im uns vorliegenden Manuskript nicht erscheinen.

Da die darin zuletzt eingetragene Jahreszahl „1827" lautet, ist von diesem Datum für die Drucklegung bei Justi auszugehen. Dies ist umso glaubhafter als Schreibers Lebensgeschichte erst unter dem Kapitel „Nachträge, Zusätze und Berichtigungen" in Justis Werk abgedruckt ist.

Schreiber hat das handgeschriebene Exemplar 1852 noch einmal überarbeitet (nachträgliche Notiz vom Tode der Frau v. Bechtolsheim 1847 und der Eintrag „... jetzt nach 46jährigem Wirken"), es sind noch Streichungen vorgenommen, Wörter und Sätze hinzugefügt. Die Schriftführung hebt sich deutlich von der ursprünglichen ab. Sie ist kraftvoller, flüchtiger und damit schwerer lesbar.

Warum Schreiber das Manuskript noch einmal überarbeitet hat, bleibt unbekannt. Möglich, daß er die Überarbeitung im Blick auf die am Ende seiner Biographie angedeutete Neuorientierung seines Lebenswerkes vorgenommen hat.

Berghausen, 16.12.1996

Dr. Peter Appelius
Christian Schreiber in seiner Zeit

Auch wenn Christian Schreiber bereits 1781 geboren wurde, so war er doch kein Kind des „Zeitalters Goethe" mehr. Selbst wenn man Schreiber der Zeit der späteren Aufklärung zurechnen sollte, würde man ihm nicht gerecht, denn er war beileibe nicht deren Anhänger. Er war vielmehr zeit seines Lebens ein echter Romantiker mit einem tiefen und betonten Hang zur Lyrik und Musik. Das äußerte sich schon früh, wie Jean Paul ihm in einer Beurteilung eines dichterischen Manuskriptes schrieb: „Hier und da schillerisieren Sie noch." Was doch heißen sollte, daß Schreiber sich an die Lyrik des frühen Schiller klammerte. Schreiber ging dann seinen eigenen Weg, aber das lyrische Element - wie seine Selbstbiographie und das Verzeichnis seiner Schriften beweisen - blieb bestimmend in seinem Leben.

Sein Zeitalter war ein durch und durch literarisches. Man sprach und bewegte sich literarisch, was sich auch in Zirkeln und geselligen Kreisen - wie Schreiber sehr anschaulich festhält - dokumentiert. Viele wichtigen Lebensäußerungen gingen aber schriftlich vor sich - in kleinen und großen Werken, die auch gern anonym erschienen. „Alles geschah durch das Papier für das Papier" (E. Friedell).

Schreiber betont seine Anhängerschaft an die Tradition. Voll Ehrfurcht blickt er auf alles Unbewußte, auf die Natur verbunden mit einem gesteigerten Weltgefühl, einem Weltgefühl allerdings, das sich in engeren Grenzen hält. Auch darin beweist er sich als ein echter Vertreter seiner Zeit. Kurz gesagt: „Alle wahrhaft gebildeten Menschen sind Landsleute" (Madame de Staël), womit Sachsen-Weimar als die geistige und literarische Hochburg der damaligen Zeit gemeint war. Schreiber hatte Kontakte zu und Freunde unter den „glänzendsten Geistern" der Zeit, zu Literaten, Theologen, Philosophen, Pädagogen und Verlegern wie Eichstädt, Herder, Göschen, Jean Paul, Wieland, Matthisson, Schiller, Frau v. Bechtolsheim, Madame de Staël, Schlegel, Härtel, Cotta und vielen anderen mehr.

Das Fazit seines Lebens: „Ich muß mich schon für einen Poeten halten", der mit der Feststellung schließt: „Es war eine schöne, für Geist und Gemüth genußreiche Zeit".

Berghausen, 30.12.1996

Die kursiv gesetzten Texteinschübe und Fußnoten wurden zum besseren Verständnis nachträglich hinzugefügt und sind im Original-Text nicht enthalten.

Die alte Rechtschreibung wurde unverändert beibehalten.

Aufgefordert von meinem hochverehrten Freunde, dem verdienstvollen Herausgeber dieser fortgesetzten „Hessischen Schriftsteller-Geschichte," auch meinen Namen in diesem Werke nicht fehlen zu lassen, ergreife ich die Feder, um wenigstens einige Züge aus meinem einfachen und doch vielbewegten Leben aufzuzeichnen, die vielleicht von allgemeinerem Interesse seyn dürften.

Ich wurde zu Eisenach im Jahre 1781 am 15. April (dem ersten Ostertage) geboren. Meine Eltern waren aus dem Bürgerstande. Der Vater, ein ausgezeichneter Geometer, eine Zeitlang als Unter-Steuer-Beamter im Thüringischen angestellt, bei beschränkten Vermögens-Umständen, unruhigen und ängstlichen Sinnes, verließ Deutschland, um in holländischen Diensten ein besseres Glück zu suchen, und starb, wenige Jahre darauf, als Schiffslieutenant, in Surinam. Die Mutter, eine gemüthvolle, durch Verstand und Herzensgüte höchst achtungswerthe, von frühen Leiden niedergebeugte Frau, war nicht zu bewegen gewesen, ihrem Manne in's Ausland zu folgen. Durch unermüdeten Fleiß in weiblichen Arbeiten (sie gönnte sich kaum einige Stunden Schlaf) erhielt sie ihr kleines Hauswesen; wendete Alles an die Erziehung ihrer Kinder; war ihnen ein rührendes Muster strenger Rechtschaffenheit und heiterer Frömmigkeit und starb, zufrieden, sie versorgt zu wissen, noch in ihren mittleren Jahren bei dem jüngsten Sohne, beim jetzigen Weimarischen Steuerbeamten, Karl Schreiber, in Ostheim. Ihr Andenken ist uns heilig und unvergeßlich!

Durch die Güte edeldenkender Anverwandten wurde mir frühzeitig ein sorgfältiger Unterricht zu Theil. Der Wunsch meiner Mutter bestimmte mich als Kind schon zum geistlichen Stande. Ich wäre gern etwas anderes, am liebsten ein herumschweifender Musiker geworden. Das Stillleben eines Landpredigers schien für meine frühlebendige, fast etwas zügellose Phantasie kein anziehendes Ideal zu seyn; ich segne aber jetzt, in der Reife männlicher Jahre, jenen Entschluß; da ich mir, ohne Selbstgefälligkeit, sagen darf, gerade durch diesen Stand an Charakterfestigkeit gewonnen und in meinen Verhältnissen als Prediger und Ephorus manches Gute gewirkt zu haben.

Im zwölften Jahre (viel zu früh! doch steht der Tag noch hell wie Morgenroth vor meiner Seele;) wurde ich konfirmirt, und aus dem Privat-Unterrichte auf das berühmte Hennebergische Gymnasium zu Schleusingen geschickt. Treffliche Lehrer, besonders der (auch als Schriftsteller sehr ausgezeichnete) Professor, Albrecht Georg Walch (1), gaben sich viele Mühe mit dem kleinen Wildlinge. Unter meist älteren Kommilitonen sitzend spornte mich der Fleiß derselben und der Ernst der aufsehenden Lehrer an, meinen natürlichen Hang zu romantischen Streifereien, und zu jugendlichem Muthwillen (2)

etwas einzuschränken, und meinen Studien eifriger obzuliegen. Ich gewann die Gunst meiner Lehrer; doch schien der strenge, geistig und körperlich gewichtige Walch (in seinem Erziehungseifer oft ein wahrer Jupiter tonans) nur selten ganz mit mir und Anderen zufrieden zu seyn. Dann war aber auch schon sein belobendes Schweigen ein stimulus divinus für uns. Ein geistvoller Erklärer der alten Classiker, besonders des Horaz und Virgil's, seiner Lieblinge, wußte W. unter seinen Schülern das poetische Talent, wo es irgend vorhanden war, zu wecken und zu pflegen; und Mehrere von ihnen werden sich noch mit Vergnügen ihres „Versbüchleins" erinnern, in welches von Zeit zu Zeit deutsche, lateinische, selbst griechische Gedichte, in bunter Reihe niedergeschrieben werden mußten; die dann der alte Aristarch bei trefflicher Correktur mit seinen Belobungs- oder Verdammungs-Dekreten bezeichnete. Wenn aus solchen Uebungen eben auch nicht lauter Dichter hervorgehen; denn der Dichter wird geboren: So sollten sie doch auf keiner höheren Schule vernachlässigt werden; da sie den Sinn für das Erhabene und Schöne am sichersten entwickeln, und - wenn nicht klassische Autoren, doch klassische Leser bilden, an welchen überall kein Ueberfluß ist.

Mit Kenntniß der Sprachen, den Anfangsgründen der Philosophie und Geschichte, so wie der Musik (unter Leitung des würdigen Kantors Stäps; dessen kirchliche leider! ungedruckt gebliebene Compositionen als Meisterwerke in ihrer Art gehört wurden) ziemlich ausgerüstet, bezog ich im 18. Lebensjahre (wieder wohl zu früh) die Universität Jena. Hier verbreitete in allen Fächern der Wissenschaften ein Verein der glänzendsten Geister seine wohltätigen Strahlen; ein Griesbach (3), Paulus (4), Niethammer, Augusti (5) u. A. in der Theologie; Fichte (6) und Schelling (7) in der Philosophie; Hufeland (8), Loder und Starke in der Medizin; Schütz (9) und Eichstädt (10) in der Philologie, neben so vielen anderen gleichzeitigen rühmlich bekannten Gelehrten; während in dem benachbarten Weimar unter Karl Augusts günstigem Schutz noch alle Heroen der deutschen Literatur und Kunst zusammenlebten und wirkten.

Anreiz genug für ehrliebende und wißbegierige Jünglinge, nicht blos in den Hörsälen, sondern in dem wissenschaftlichen Leben und Treiben jener - noch von keinen politischen Stürmen getrübten - Zeit zu höherer Bildung und Wirksamkeit sich empor zu arbeiten.

Die Universitätszeit wurde zu theologischen, philosophischen und philologischen Studien fleißig, doch nicht umfassend, von mir benutzt; es fehlte, wie noch immer auf unseren Hochschulen, an einer genaueren Aufsicht und väterlichen Leitung von Seiten der Lehrer; und es mußte deßhalb in späteren Jahren durch angestrengten Fleiß Vieles nachgeholt und ergänzt werden. Die akademische Freiheit sollte man nie, wie es in manchen katholischen Lehranstalten der Fall ist, ängstlich beschränken; aber eine - mehr in's Einzelne gehende - humane Leitung und Begrenzung derselben, in wissenschaftlicher und sittlicher Hinsicht, (die freilich nur durch theilweise Umgestaltung unserer bisherigen Universitäten möglich wäre,) scheint ein immer dringenderes Bedürfniß zu werden. Möchten die Vorschläge, welche in dieser Beziehung der ehrwürdige Stephani (11) (in seinem noch immer nicht genug gewürdigten System der öffentlichen Erziehung; Erlangen, b. Palm 1813) den Staatsregierungen längst an's Herz legte, nach v. Massows Vorgang überall besser beachtet und befolgt worden seyn!

Praktische Anleitungen zum Predigen gab es damals in Jena noch nicht; hierin ist man seitdem dort und anderwärts mächtig vorgeschritten. Wenn dennoch auch aus jener Periode manche nicht ungeschickte Kanzelredner hervorgingen, so muß es lediglich ihren natürlichen Anlagen und ihrem Selbststudium zugeschrieben werden. Vor dem Fehler blieben sie wenigstens bewahrt, der in guten Prediger-Seminarien nicht genug vermieden werden kann, die Eigenheiten ihrer Vorbilder allzusehr nachzuahmen; wodurch das Originelle, (auch in der äußeren Darstellung, wenn es nicht an sich überwiegend hervortritt,) und mit ihm das eigentlich Ansprechende und Herzgewinnende in der Redekunst oft verlohren geht.

Außer der lateinischen Gesellschaft, die unter Eichstädts meisterhafter Leitung neu emporblühte, hielt ich mich noch zu einer deutschen, die wir Musensöhne untereinander selbst gestiftet hatten; wo prosaische und poetische Aufsätze, erstere über alle mögliche - uns erreichbare - Zweige der Literatur und Kunst, gegenseitig mitgetheilt, rezensirt und durchgesprochen wurden. Dies hielt uns, ob wir gleich eben keine Abstemii von Commerçen, Spazierfahrten und anderen geselligen Vergnügungen waren, von mancher Zeitverschwendung ab, und ist sicher eins der besten Mittel gegen düstere politische Umtriebe, welche die heitere Welt der Jugend gar nicht berühren sollten.

Nach Vollendung meiner akademischen Studien in Leipzig war ich eine Zeitlang unschlüssig, ob ich dem Schul- oder Prediger-Fach mich ausschließlich widmen sollte. Ein mächtiger Trieb erwachte in mir, die Welt zu sehen, und durch Anschauung und Uebung allerlei noch fehlende Kenntnisse mir zu erwerben. Doch ließ ich mich zuvor in meiner Vaterstadt (Eisenach) examiniren (vor meinem Abgange zur Akademie hatte mich Herder (12) geprüft); und wurde in die Zahl der Candidaten des Predigeramts aufgenommen. Da es mir an Mitteln fehlte, große Reisen zu machen, so begnügte ich mich mit kleinen, und schweifte so ziemlich einige Jahre in benachbarten größeren und kleineren Städten und Dörfern umher; wo ich besonders bei Landpredigern, die mich zuweilen predigen und katechisiren ließen, ein willkommener Gast war. Ich bereue diese jugendlichen Streifereien, obwohl ich sie mit einem ernsteren Studium hätte verbinden sollen, nicht; sie haben mir das Leben, besonders in den niederen Ständen, besser aufgeschlossen, als Bücher. Mein Hang zum Poetischen und Idealen wurde dadurch genährt und befriedigt; und wie als Kind, so als Jüngling kannte ich nichts Seligeres, als dem freien Flug der Phantasie mich überlaßend, auf blühenden Wiesen und unwegsamen Gebirgen umherzuschwärmen und etwa der untergehenden Sonne so lange in's Auge zu schauen, bis das meinige fast erblindete, und ein rosenfarbner Schimmer sich um meine ernsten und fröhlichen Träume zog. Noch immer ist dieser Genuß im Freien, wenn das Tagewerk oft ermüdender Geschäfte vorüber ist, meine süßigste Erholung; und möchte Keinen, dem, wie mir, auf dem Lande, so manche höhere Kunstgenüsse großer Städte oft Jahrelang versagt bleiben, der Sinn für die ewig neuen Reize der Natur, und für das Schöne auch im häuslichen und ländlichen Leben, bis zum spätesten Alter verlassen.

Doch ich sollte auch die Kreise der größeren Welt kennen lernen. Zwey meiner glücklichsten Jahre (von 1801 bis 1803) brachte ich als Hauslehrer in der von Boyneburgschen Familie zu Weilar (nahe bei Lengsfeld in dem reizenden Fuldathale, am Fuß der Rhöngebirge) zu.

In diesem wahrhaft edlen und allgemein verehrten Hause (13) war Alles vereinigt, was den Geist und das Herz nähren und erfreuen konnte; eine seelenvolle und gemütliche Unterhaltung; würdige Beschäftigung, „die nie ermattet"; religiöser Sinn, mit gleicher Neigung für alles Schöne der Natur und Kunst verbunden; eine ausgesuchte Bibliothek, wissenschaftliches Treiben, behaglicher Reichtum, und wohlthätige Wirksamkeit. Zwei durch seltene Bildung und geistige Vorzüge ausgezeichnete Gesellschafterinnen (Fräulein von Löbel und von Bose,) so wie ein edler Emigrant, der hier sein Asyl gefunden (Chevalier de Vernejoux (14)) , leiteten mit mir das Geschäft der Erziehung hoffnungsvoller Söhne und Töchter, die leider! nicht alle mehr am Leben sind.

Hier erwachte stärker wieder mein Hang zur Poesie und Musik, welche letztere mit dem vielseitig gebildeten Herrn des Hauses (15) - in unseren täglichen Erholungsstunden - praktisch getrieben wurde. Ich wurde zu schriftstellerischen Versuchen ermuntert, wozu es schon vorher an Veranlassungen nicht gefehlt hatte. Einige Lieder und musikalische Kompositionen wurden beifällig in Bekkers Taschenbuch und in die Leipziger allgemeine musikalische Zeitung aufgenommen. Eine - schon auf der Akademie, unter des trefflichen Augusti Zustimmung begonnene - poetische Umschreibung der Offenbarung Johannis (durch welche besonders dargethan werden sollte, daß dieses - schwerlich Johanneische Werk ein sinnvolles, auf die damalige Zeit berechnetes Poem, aber kein biblisches Lehrbuch sey) wurde vollendet, und von Webel in Zeitz verlegt.

Vorzüglich beschäftigte mich meine Harmonia, ein episch-musikalisches Gedicht, das - bei allen Jugendfehlern der Form und des ungeregelten Stoffs - doch einen Mangel an poetischer Erfindung und Darstellung nicht verspüren ließ, und deßhalb vor dem Forum der Kritik auch nicht werthlos erfunden wurde.

Indeß würde ich, schon aus angeborner Schüchternheit, die Zahl deutscher Poeten - (wenigstens im Druck und Buchhandel) - schwerlich vermehrt haben (16); wenn nicht Jean Paul Fr. Richter (17), den ich unter allen Autoren majorum gentium am meisten verehrte, und in Meiningen persönlich kennen lernte, mir bei der Zurücksendung des Manuskripts der Harmonia geschrieben hätte: „die Muse bleibe bei Ihnen. Ihre Fehler, die Sie verbessern können, habe ich im Manuskripte mit ¬ bezeichnet; das Gute mit ±, das Vorzügliche mit ‡. Hier und da schillerisiren sie noch. Auch ist die Zeichnung und nicht das Kolorit im Gemälde die Hauptsache. Fahren Sie fort, auf die Zeichnung Fleiß zu verwenden, und ich werde neuen Dichtungen von Ihnen mit Freude entgegensehen." J. P. Fr. R. Ich war zufrieden, bei manchen heilsamen Strichen doch auch nicht wenige und selbst mehrere zu erblicken, und bemühte mich seitdem, bei meinen poetischen Schöpfungen mehr auf das Bild, als auf die Farbe zu achten, und die noch so leuchtenden Fußtritte jedes Meisters verlassend, wenn auch keine Sonnenbahn, doch meinen eigenen Weg zu gehen, der wenigstens mich und so Manche meiner Zeitgenossen durch Natur und Empfindung erfreute.

Doch weder über meine damaligen noch späteren Poesien steht mir ein gültiges Urtheil zu. Sie sind öffentlich viel gerühmt und getadelt worden (18); letzteres mit Recht, denn das Meiste, was ich von 1800 bis 1806 in meinem Jünglingsjahren geschrieben, was die Taschenbücher jener Zeit, den Freimüthigen, und andere Tagesblätter mit ausfüllte, und einen zufälligen Beifall fand, den ich nicht ganz verdiente, leidet an Mängeln, die Niemand strenger und entschiedener als ich selbst, zu würdigen weiß. Eine Sammlung meiner lyrischen Versuche (im Jahre 1806, Berlin b. Fröhlich) hätte daher noch unterbleiben sollen; sie enthält nur sehr Weniges, was ich jetzt noch anerkennen möchte.

Wenn dennoch große Meister, wie Wieland (19), der als Greis dem 23jährigen jungen Manne ein rührendes Vertrauen schenkte; Matthisson (20), der in seine lyrische Anthologie die besseren Erstlinge meiner Muse verlangte und aufnahm; und selbst Schiller (21), den ich nur zweimal sah und sprach, und dessen hohe Gestalt und himmlisches Auge ich nie vergessen werde, mich freundlich ermunterten: so mögen einige spätere Leistungen, die im Morgenblatt, im Cottaschen Almanach für Damen, und fanden in anderen damaligen und jetzigen Journalen und Taschenbüchern ihren Platz, jene günstige Meinung vielleicht rechtfertigen. Immer habe ich diese, „zerstreuten Blätter" nebst einer Auswahl der früheren, nach dem Wunsch edler Freunde sammeln, und in ein Ganzes vereinigen wollen (22); aber ein meine Zeit sehr in Anspruch nehmendes ernsteres Geschäftsleben, in welches ich bald genug treten sollte, so wie eine gewisse Furcht, den „Besten meiner Zeit" noch immer nicht genug zu thun, verhinderte mich stets daran.

Eine gerade nicht nachahmungswürdige Eigenheit meines literarischen Treibens, die meine näheren Freunde wohl kennen, kann ich hierbei nicht unerwähnt lassen.

Wenn Bürger bekanntlich seine Gedichte sorgfältig und vielfach abschrieb, sie wohl verwahrte und öfter feilte: so habe ich dagegen kaum bei einigen dies über mich gewinnen können. Vieles, und vielleicht nicht das Schlechteste, was ein günstiger Augenblick in poetische Formen goß, ist gar nicht aufgeschrieben; von Allem, was von mir gedruckt ist, besitze ich selbst schwerlich einige Bogen, noch weniger das Manuskript. Ich erfreue mich in diesem Stück (nicht in Geschäften) einer Art lyrischer Unordnung. Ueberhaupt aber, wozu soll auch Alles, was der treibende Geist an Blättern und Blüthen hervorbringt, gesammelt, und in der Masse unserer Literatur mit aufgeschichtet werden? Genug, wenn es den Augenblick würdig oder doch anmuthig ausfüllt! Jeder ächte Musenjünger muß mit den herrlichen Worten Göthe's sagen können:

„ich singe, wie der Vogel singt,
der in den Zweigen wohnet." cc

Doch ich fühle, von meinem anspruchslosen Dichter-Leben schon zu Viel, wenn auch offenherzig gesprochen zu haben. Möchte es nur nicht wie verstecktes und mir verhaßtes Selbstlob klingen. Den Schein desselben wird, bei der Unvollkommenheit unserer menschlichen Natur, freilich jede selbstbiographische Aeußerung, auch die ehrlichste und bescheidenste, enthalten. Dies mag denn seyn; da es nie an Urteilsfähigen fehlt, die früher oder später Alles auf seinen wirklichen Werth oder Unwerth zurückzuführen wissen.

Ich lenke zur weiteren Skizzirung meines Lebens ein, und will mich kurz zu fassen suchen.

Von 1803 bis 1806 privatisirte ich in Eisenach. Hier wurde mir das Glück zu Theil, mit einer der edelsten Frauen, und durch sie mit vielen höchst interessanten Menschen jener bewegten Zeit bekannt zu werden. Es ist die noch in hohem und blühend thätigem Alter lebende Frau von Bechtolsheim, geborne von Keller (23) (24); deren Haus der Sammelplatz der angesehensten, geistvollsten und tugendhaftesten Personen, einheimischen und fremden, war. Ich will nur Einige nennen, deren Erinnerung mir eben vorschwebt: Graf Narbonne; Frau von Schardt; von Wollzogen; von Stael-Holstein; von Schlaberndorf; Benjamin Constant; Herzog August von Gotha; Karl August und dessen (nun auch verewigte) preiswürdige Gemahlin; Karl Friedrich, der jetzt regierende Großherzog von Weimar, und dessen Gemahlin, Maria Paulowna (die hochherzige Stifterin unserer patriotischen Frauenvereine (25) und so vieler wohlthätiger Landesanstalten); Herzog Bernhard von Weimar, der spätere Minister; von Gersdorf; ... von Müller; von Thümmel; Graf v. Schwendler; Amalia v. Imhof; Fouqué; Rochlitz; von Müffling; Oberst (später General) von Dörnberg; Graf von Thielemann; Horstig; der Amerikaner Aaron Burt, ehemaliger Vizepräsident des Kongresses; von Kotzebue; Graf von Loeben; von Trott; der Leipziger Erhard; der Dichter Ernst Wagner; die Gesandten v. Campenhausen, v. Alopäus, Graf Keller; und so viele andere durch Ruhm, Stand und Bildung ausgezeichnete Männer und Frauen. Hier war die Schule des guten Geschmacks und Tons; der Sage nach nicht unähnlich jenen geistreichen Pariser Cirkeln, die vor der Revolution, und ehe sie selbst in Epikuräismus ausarteten, die Hauptstadt zum Sitz der feinsten geistigen Genüsse machten, und längst aus dem Leben, aber nicht aus der Geschichte entschwunden sind. Grazie und Würde, Ungezwungenheit und Anstand vereinigten sich in dem geselligen Kreise dieser gefeierten Frau, den kein durchreisender Gelehrter (26), kein Künstler, Welt- und Staatsmann von einiger Bedeutung vorbeiging. Hier traf ein, was Frau v. Stael (27) (28) einst sagte: „alle wahrhaft gebildete Menschen sind Landsleute." Von der Verschiedenheit des Standes, der Confession, der Lebensweise war hier keine Rede; Kunst, Wissenschaft und höhere Lebensweisheit verknüpfte die heterogensten Geister; das Nationale selbst verschwand auf der höheren Stufe der Humanität. Der bescheidene Zutritt zu so Manchem, was hier Anziehendes gesehen, gehört und erfahren wurde, war mir durch die Freundschaft der Frau von B(echtolsheim) und ihres edlen Gemahls vergönnt; ich habe mich für mein ganzes Leben daran gestärkt. Alles Interessante wurde gelesen, beurtheilt, und was dem geistigen Streben Reiz verleihen konnte, zur Anwendung gebracht. Ein Familientheater, auf welchem das Möglichste versucht wurde, erheiterte alle Kunstfreunde der Stadt und Gegend. Es fehlte nicht an musikalischen declamations- und selbst theatralischen Uebungen. Die herrliche Natur um Eisenach und die Wartburg gaben Stoff und Anreiz zu manchen kleinen Dichtungen. Männer von Wissenschaft und Geschmack, die in Eisenach stets gezählt wurden, wetteiferten miteinander in gegenseitiger Belehrung und würdiger Unterhaltung.

Es war eine schöne, für Geist und Gemüth genußreiche Zeit; die leider ! durch den französisch-preußischen Krieg und die politische Umgestaltung Deutschlands (1806-1809) auf mehrere Jahre unterbrochen wurde.

Indeß hatte ich, obwohl mit belletristischen Arbeiten aller Art beschäftigt, meine ernsteren Studien nicht vernachlässigt. Neben den theologischen zogen mich philosophische und geschichtliche Werke besonders an; ich wollte wenigstens gründlich denken lernen, und auf meinem Standpunkte mich orientiren. Nebenbei lieferte ich (wie noch jetzt) für das Fach der Aesthetik und Moralphilosophie eine beträchtliche Anzahl von Beurtheilungen größerer und kleinerer Werke zur allgemeinen (Halleschen, Jenaischen und Leipziger) Literatur-Zeitung; welchen Instituten ich ununterbrochen treu geblieben bin, so wie zu anderen kritischen Journalen. Neigung und Nothwendigkeit bestimmten mich, in Folge öfterer Aufforderungen meines verewigten Freundes Härtel (29) in Leipzig, gar manche treffliche Musikstücke, von Mozart, Haydn, Beethoven, Paer u. A., denen entweder ein guter, aber ausländischer, oder ein schlechter deutscher Text untergelegt war (der ärgste, entsinne ich mich, war der zu Beethovens Oratorium, Christus am Oelberge; ein monstrum von verrenktem Sprachwerk!), mit singbaren deutschen Texten zu versehen; wohl auch ungedruckte lateinische Messen (zum Theil vortreffliche Kompositionen) zu Kirchenstücken und Oratorien für den protestantischen Cultus zu bearbeiten. Nicht wenig, wiewohl kein sonderlicher Werth darauf zu legen ist, dürfte ich seit einer Reihe von Jahren hierin geleistet haben, und Härtel, der thätige Musikfreund und Verleger, war in der Regel mit mir zufrieden. Eine große Anzahl von Rezensionen musikalischer Werke und anderen Aufsätzen, die ich auf sein Verlangen schrieb, befindet sich ebenfalls in seiner allgemeinen musikalischen Zeitung, die späterhin nach mehr als 40-jährigem Bestehen eingegangen und durch andere ähnliche Zeitschriften ersetzt worden ist.

Ich übergehe die schätzbaren, mehr und weniger dauerhaften, Verbindungen, in welche ich, damals und später, theils persönlich (in Leipzig, Weimar, Meiningen, Marburg, Dresden, Berlin u. a. O.), theils durch literarischen Verkehr, mit so vielen hochverehrten Personen des In- und Auslandes zu kommen das Glück hatte, und beschränkte mich, aus dem zweiten Theil meines Lebens, der mehr der amtlichen Wirksamkeit angehört, noch Folgendes herauszuheben.

Im Jahr 1806 folgte ich, da meines ehrwürdigen Freundes und Gönners, des Generalsuperint(endenten) Kindervaters, Wunsch, mich als Gymnasial-Lehrer in Eisenach angestellt zu sehen, nicht der meinige war, einem Rufe nach Lengsfeld (30), als Oberpfarrer und geistliches Mitglied des dasigen Konsistorial-Amts. Dieser Ort (nebst seinem Bezirk) hatte das eigene Schicksal, in einem Zeitraume von 10 Jahren (von 1805 bis 1815) sechsmal unter andere Landeshoheit zu kommen. Zuvor Reichsritterschaftlich (vor Entstehung der Ritterschaft bald Würzburgisch, bald Fuldaisch) gelangte Lengsfeld 1805 zu Kurhessen; dann zum Königreich Westphalen; dann zum Großherzogthum Frankfurt; dann wieder zu Hessen; dann an Preußen (mit Fulda, welches eine Zeitlang als ein besonderes Preußisches Gouvernement verwaltet wurde) und endlich (1816) an Weimar.

Während ich für mein amtliches Geschäft, als Prediger und Schulaufseher, im Praktischen überdieß noch unerfahren, genug zu thun fand, und Alles aufbot, um einem ehrenvollen Vertrauen und einer zuvorkommenden Liebe zu entsprechen, die mich noch jetzt, nach mehr als 20jährigem (jetzt 46jährigem) Wirken, beglückt: so bewogen mich schon jene politischen Verhältnisse, die in mancherlei Art mich berührten, in meinen Nebenstunden mich auch mit mehreren Zweigen der Staatslehre (31), namentlich der Staats-Erziehungswissenschaft, zu beschäftigen.

Konnte ich auch in meinem nicht sehr ausgedehnten Wirkungskreise keinen sonderlichen Gebrauch davon machen: so möchte ich doch Jedem, der auch nur als Prediger, als Kirchen- und SchulAufseher zu den öffentlichen Erziehungs-Beamten gehört, ein lebhaftes Interesse dafür wünschen; da diese Beschäftigung theils vor Einseitigkeit und dem leidigen Verbauern bewahrt; theils den würdigsten Stoff zu nützlichen Unterhaltungen mit Menschen aller Stände darbietet; theils überhaupt Keinem ganz fehlen darf, der zur Beförderung des wahren Staatszweckes, welcher ja kein anderer, als der gesammte Zweck der Menschheit ist, in seiner Art beizutragen sich berufen fühlt. Ich schätzte mich glücklich, eine Zeitlang als Mitglied des General-Departements-Raths in dem ephemeren westphälischen Staate, und später, als Mit-Kommissarius zur Organisation und Aufsicht des Kultus- und des Schulwesens der jüdischen Gemeinden im Großherzogthume Weimar, in solchen staats-polizeilichen Geschäften nicht ohne alle Erfahrung zu seyn. Mehrere, theils anonyme, theils pseudonyme (meist mit Sincerus unterzeichnete), Aufsätze über Gegenstände des Staats- und öffentlichen Lebens, haben im allgemeinen Anzeiger der Deutschen ihr Publikum gefunden. Etwas nicht ganz Gewöhnliches in dem Leben eines evangelischen Superintendenten mag es übrigens seyn , daß ich, in vorerwähnter Eigenschaft, und ohne das Vertrauen weder der christlichen noch jüdischen Gemeinden zu verlieren, zwei Landrabbiner (beide wissenschaftliche und geachtete Männer) eingeführt, eine ziemlich umfangsreiche Instruktion für das Landrabbinat, wie für die jüdischen Schulen, und einen Theil der neuen Synagogen-Ordnung, im Auftrage der Staatsregierung, entworfen; auch in Verbindung mit dem würdigen Vater des jetzigen Rabbiners (Dr. Heß) ein Werkchen über den Juden- Eid (32) (1826) geschrieben habe.

Inzwischen nahmen pfarramtliche und sonstige mit meiner Stellung verbundene Pflichten mich mehr und mehr in Anspruch. Den Geist meiner protestantischen Pfarr-Gemeinde, von eifrig treuen Vorgängern angeregt und erhoben (33), suchte ich - nach allen Kräften (auch durch sorgfältige Ausarbeitung meiner Predigten und fleißiges Katechisiren) - in religiöser Bildung und ächter Aufklärung zu befestigen; die öffentliche Sittlichkeit zu mehren; die Form des Gottesdienstes durch zeitgemäße Agenden (wir haben hier die Pfalzsulzbachische, die Schleswig-Holstein'sche und andere neuere abwechselnd) und durch ein von mir selbst herausgegebenes neues Gesangbuch (34) - nicht sowohl zu verschönern (denn dieses Wort, so unschuldig es an sich ist, will nicht recht für den Kultus passen; es erinnert zu sehr an die Künste der Koketterie!) als vielmehr in ansprechender Würde und Feierlichkeit zu erhalten; die Elementar-Schulen des Orts und des Sprengels so viel möglich den großen Fortschritten der Erziehungskunst (auch in dieser Region) anzupassen; und durch freundliche Visitationen (35) auch in den übrigen Landgemeinden Lust und Liebe für das Kirchen- und Schulwesen und ein vernünftiges Christenthum zu verbreiten. In wie weit mir dies gelungen sey, kann ich nicht beurtheilen. Von seinem redlichen Willen darf zwar Jeder sprechen, der ihn fühlt. Die Einsichten Anderer und die Zeit können allein entscheiden, ob ein thätiges Wirken, in größerer oder geringerer Sphäre, ein fruchtbringendes oder ein vergebliches war.

Bei dem öfteren Wechsel der Regierungen, und besonders während der 7jährigen, Vielen verhaßten, Vielen erwünschten, Westphälischen Zeit, war es übrigens so leicht nicht, einen guten sittlich-religiösen Geist in den Gemeinden zu erhalten. Wo alle Augenblicke einem neuen Herrn gehuldigt wird; wo des obrigkeitlichen Bevormundens in kirchl(ichen) und bürgerl(ichen) Angelegenheiten bald zu viel, bald zu wenig ist; wo es an Vorliebe und Vorurtheilen für diese oder jene Verfassung nicht fehlt, und nicht fehlen kann: da ist es schwerer, die Gemüther zu einigen, und sie für das Höhere und Bleibende zusammenzuhalten, als da, wo Alles in einem gewissen herkömmlichen Gleise sich ruhig fortbewegt. Niemals habe ich indeß über Irreligiosität und Unkirchlichkeit klagen können. Weder Gleichgültigkeit gegen den öffentlichen Cultus (mit wenigen Ausnahmen; die überall, - vorzüglich unter den sogenannten Halbgebildeten und halben Denkern - Statt finden); noch Pietismus und Separatismus war je hier vorhanden. Ich habe immer gefunden, das da, wo ein denkgläubiges Christenthum, das weit von einer dürren Verstandes-Religion verschieden ist, in Kirchen und Schulen mit Wärme gelehrt wird, weder die öffentlichen Versammlungen vernachlässigt werden, noch abgesonderte mystische Vereine sich bilden (36). Die Versuche des Saint-Simonismus, des Materialismus u.a. werden keinen Bestand haben. Aber das Christenthum wird aus allen seinen bisherigen, größtentheils verbrauchten, Formen zu einer neuen, allgemeinen Kirche sich erheben: dieß ist wenigstens mein fester Glaube. Dann wird auch die Zeit kommen, wo man eben so gern wieder zu den Tempeln des Heiligen, als jetzt zu Konzerten und Schauspielen sich drängen wird. -

Diese schöne Hoffnung weckt eine angenehme Erinnerung.

Es war im Jahr 1811, wo auf der Höhe von Altenberga in Thüringen, unweit Gotha, Erfurt und Schmalkalden, die feierliche Einweihung des Denkmals Statt fand, welches an die erste Verbreitung des Christenthums in diesen Gegenden durch Bonifazius (724) erinnern sollte. Die nähere Beschreibung dieses in seiner Art einzigen Festes gehört nicht hierher. (Sie findet sich in Löfflers Feier des Andenkens an die erste christliche Kirche in Thüringen. Gotha 1812; auch in meiner Chronik der dritten Jubelfeier der evangelischen Kirche. Erfurt und Gotha 1819). Nur soviel werde hier berührt. Das Denkmal besteht aus einer hohen Säule, auf welcher ein Leuchter mit ausgebreiteter Flamme künstlich gebildet ist. Hier versammelten sich am 1. Sept. 1811 Tausende von Christen aller Konfessionen. Unter Glockengeläute aus den nahen Ortschaften und Choral-Musik begann ein feierlicher Zug zu der Stelle, wo die erste Kirche Thüringens gestanden hatte. Drei Geistliche, der lutherische General-Superintendent Löffler aus Gotha, der katholische Prälat Placidus Muth aus Erfurt, und der reformirte Pfarrer Wittich von Schmalkalden, sprachen an einem im Freien errichteten, mit Blumen geschmückten Altar nach einander gediegene Worte, die von Herzen zu Herzen gingen. Alles war durchdrungen von seliger Rührung, als wie aus Einem Munde der Lobgesang erscholl:

„Auf diesen Höhen stehen wir
Und bringen unser Opfer dir,
Der du die Menschenherzen lenkst,
Und Licht in Finsternisse senkst."

Wenn hier in schöner Klarheit es vor Augen stand, daß Menschen, bei aller Verschiedenheit kirchlicher Gebräuche, doch nur Einen Glauben, Eine Verpflichtung, und Eine Hoffnung des künftigen Lebens haben; warum sollte der Ausspruch des größten Menschenlehrers sich nicht verwirklichen: daß die Wahrheit einst Alle frei machen, und durch geistige Verehrung Gottes sie zu Einer Heerde vereinigen wird?

Als Nachhall dieser begeisternden Feier entstand mein Gedicht: Religion, in 2 Gesängen; das unter Katholiken und Protestanten eine gleich günstige Aufnahme gefunden hat, und (wie ich aus dem Konversations-Lexikon, neueste Auflage, unter der Notiz meines Namens, ersehe) am freundlichsten beurtheilt worden ist.

Die erste Jahresfeier des für die deutschen Waffen so glorreich gewesenen 18. Oktobers, welche (1814) auch auf unseren Bergen festlich begangen wurde (37), veranlaßte zu einem kleineren, von Görres im Rheinischen Merkur verbreiteten, aber auch besonders gedruckten, episch-lyrischen Gedichte: Deutschlands Fest; das besonders den Beifall des Kurfürsten Wilhelm I. erhielt, der den Verfasser schriftlich deßhalb belobte; und dessen Schlußworte:

„in Herzenseintracht haltet euch zusammen!
Weh' euch, wenn diese Feuer nicht mehr flammen!"

etwas Prophetisches enthielten.

Die erhebende Feier des dritten Jubelfestes der evangelischen Kirche (1817) gab mir den Wunsch ein, das Wichtigste, was in jenen merkwürdigen Tagen zur Verherrlichung des Festes in allen protestantischen Ländern geschehen, in einer allgemeinen Chronik zu verewigen. (Die des zweiten Jubelfestes hatte Dr. Cyprian, Hofprediger zu Gotha, beschrieben.) Das Werk kam in Verbindung mit Veillodter bei Hennings in Gotha heraus. Es war bei dem fast unübersehbaren (freilich der Natur der Sache nach, sich auch zu ähnlichem) Stoff, der aus allen Ländern sich zusammenhäufte, und manche neue Bekanntschaft mit würdigen Männern mir gewährte, auf 3 Bände berechnet. Der erste sollte eine Darstellung der kirchlichen Feierlichkeiten, der zweite eine Sammlung der vorzüglichsten Jubel-Predigten und Gedichte, der dritte eine Auswahl der ausgezeichneten akademischen Schul-Reden in deutscher und lateinischer Sprache enthalten. Indeß sind nur die beiden ersten Bände, die bei dem Treiben der Verlagshandlung nicht einmal gehörig geordnet und vervollständigt werden konnten, und überdies durch eine Menge von Druckfehlern entstellt sind, im Druck (in großem Quartformat) erschienen. Den dritten und reichhaltigsten wagte, bei dem Mangel an Absatz, der wohl auch bei der Kostspieligkeit des mehr für öffentliche Bibliotheken berechneten Werks vorausgesehen werden konnte, der Verleger nicht, an's Licht treten zu lassen.

Der bekannte Harmsische Thesenstreit (38), der besser unterblieben wäre, jedoch wie jeder wissenschaftliche Kampf, wo „die Geister aufeinander platzen und treffen", zu weiteren Forschungen und Fortschritten gewiß auch das Seinige beigetragen, gab mir Veranlassung zu der anonymen Broschüre: harmlose Einwendungen gegen die Harmsischen Behauptungen. Eisenach, b. Bärecke 1817. Die Würdigung dieses Schriftchens in verschiedenen kritischen Blättern konnte mir nur Freude machen (39). Auch mit der ermunternden Aufnahme meiner „Predigten und Homilien" (es ist nur 1 Band davon erschienen, und zu der von Vielen gewünschten Fortsetzung derselben hat es mir immer noch an Muße gefehlt) hatte ich Ursache zufrieden zu seyn. Was außerdem und überhaupt bis jetzt im Druck von mir zu Tag gefördert ist, findet sich - auf Verlangen - im angehängten Verzeichnis namhaft macht. Doch kann ich - wegen oben berührter Unart - für die genaue Richtigkeit aller Angaben und Jahreszahlen nicht stehen; so ohngefähr werden sie schon zutreffen.

Meine gegenwärtige Zeit ist zwischen amtlichen und literärischen Beschäftigungen getheilt. An reger Thätigkeit habe ich es nie fehlen lassen, und den Ausspruch des weisesten Königs stets bewährt gefunden: „daß nichts Besseres auf Erden sey, als fröhlich zu seyn in seiner Arbeit." Meine stets lebendige dichtende Phantasie hat eher zu- als abgenommen; und ich muß mich schon deßhalb für einen Poeten halten, weil selbst in der Lebensperiode, wo sonst die Prosa vorherrschend wird, mir alles im poetischen Lichte erscheint. Ich erfreue mich bei'm Schlusse meiner vierziger Jahre einer fast nie gestörten kräftigen Gesundheit. So viele und schwere Gemüthsleiden mir auch das Schicksal von Zeit zu Zeit auferlegte; so ist dennoch die angeborne Heiterkeit meiner Seele selten lange getrübt worden. Familien-Vater (jetzt in zweiter Ehe; die erste Gattin, geb. Oettelt, aus Eisenach, verlor ich früh, nach langen Krankheits-Leiden; have anima pia! Die zweite ist eine geborne Waitz aus Lengsfeld) in glücklich hergestellten häuslichen Verhältnissen; nicht ohne nähere Freunde und Freundinnen, deren persönlicher Umgang lehrreich und wohlthuend ist; im Besitz eines nie gestörten Vertrauens derer, welchen ich als Lehrer und Aufseher vorzustehen berufen bin; in geistigem Verkehr mit so vielen geachteten Männern und gelehrten Instituten aller Art; freundlich angesehen und unterstützt von meinen Vorgesetzten (40); geliebt von vielen, die mich kennen, angefeindet wohl nur von Wenigen, die mich schwerlich unbefangen beurtheilten: vergesse ich gern die Mängel meines Glücks, das ohnehin oft nur ein scheinbares oder wandelbares ist; und preise die Vorsehung, die das Loos meines Lebens weder in zu großer Höhe noch Niedrigkeit mir beschieden hat.

Noch fühle ich Kraft genug in mir, auf dem betretenen Pfade fortzuschreiten, und manche gesammelte Erfahrungen zu benutzen. Möge nur das, was ich noch wirken soll, unter dem Schutze dessen, von welchem Alles abhängt, nie ohne Frucht und Freude seyn. Ich schließe hiermit diesen Umriß meines Lebens, dessen Unvollständigkeit der - von mir nur schon zu sehr in Anspruch genommene - Raum dieser Blätter entschuldigen mag. Vielleicht findet sich später einmal, wenn es zur Herausgabe einer eigenen Auswahl meiner zerstreuten Flüchtlinge noch kommen sollte (41), Lust und Aufmunterung, mich über manches hier nur Angedeutete oder gänzlich Uebergangene näher zu verbreiten, was wohlwollenden Freunden und Zeitgenossen einige Unterhaltung gewähren könnte.

 

Schriften

Prophetisch-poetische Gemälde der Zukunft. Eine freie Bearbeitung der Offenbarung Johannis. Mit einer Vorrede v. Dr. Augusti. Zeitz 1802.

Beiträge (meistens lyrische Gedichte) zu Beckers Erholungen, und Taschenbuch von den Jahren 1802-1812.

Harmonia. Ein episch-musikalisches Gedicht in 3 Gesängen. Leipzig 1805. Rez. im Freimüthigen v. Merkel 1805.

Beiträge (in Poesie und Prosa) zu: Ernst und Scherz, herausg. v. Merkel; zu dem Freimüthigen, herausgegeben v . Kotzebue und Merkel; zu der Zeitung für die eleg. Welt, herausgegeb. v. Mahlmann; zu der allgem. Musikal. Zeitung, herausg. v. Rochlitz; zu der bei Göschen herausgekommenen Zeitung für Frauen; zu Cotta'schen Almanach für Damen; zu Morgenblatt, zu den thüringischen Erholungen, u. a. Bl. (Von 1803-1819.)

Gedichte. Berlin 1805. Rez. im Freim. v. A. Zarnack u. in a. Bl.

Gesänge. Mit Begleitung des Pianoforte. Leipzig. Rez. in der musikal. Zeitung und im Freimüthigen.

Alexander in Indien. Tragödie von Raçine. Frei übersetzt. Berlin 1809.

Kleine prosaische Schriften. Berlin.

Delille's Dithyrambe über die Unsterblichkeit der Seele. Metrisch übersetzt. Berlin. (Ist nicht in den Buchhandel gekommen.)

Religion. Ein (episch-lyrisches) Gedicht in 2 Gesängen. Gotha 1812. Rez. In verschiedenen krit. Journalen.

Deutschlands Fest. Ein Gedicht zum 18. Oktober 1814. (Ist nicht in den Buchhandel gekommen.)

Christliches Liederbuch (Gesangbuch) zur öffentl. und häusl. Andacht. Eisenach 1816. Zweite, vermehrte Ausgabe 1822. Rez. In der Hall. Lit. Zeit., den Heidelb. Jahrbüchern, u. a. Bl.

Harmlose Einwendungen gegen die Harmsischen Behauptungen. Von einem fränkischen Theologen. Eisenach 1818. Rez. in v. Ammons theol. Journal, den liter. Zeitungen und mehreren gel. Bl.

Predigten, Homilieen und andere geistliche Reden. Eisenach 1818. Rez. in der Jen. Lit. Z., Röhrs krit. Pred. Bibl., den thüring. Erholungen, und a. Zeitschr.

Allgemeine Chronik der dritten Jubelfeier der ev. Kirche. Erfurt und Gotha 1819.

Ueber den Eid der Juden. Eisenach 1823. Rez. in der Leipz. Lit. Z., der Sulamith, der allg. Lit. Z. und mehreren Journalen.

Rezensionen (von 1803 bis 1805) zu den goth. gelehrten Zeitungen; (von 1805-1831) zur allgem. (Hall.) Lit. Zeitung; (von 1804-1828) zu der allgem. musikal. Zeitung; von 1820-1831 zu der Leipz. Lit. Zeitung u. anderen krit. Journalen.

Weitere Beiträge (in Poesie und Prosa) zum Reformat. Almanach; zur Rheinischen Flora; zum Taschenbuch der Liebe und Freundschaft v. St. Schütze; zu mehreren Almanachen, deren Titel mir nicht gleich beifallen wollen; zur Iris; zur Hermione; zur Selitha, v. G. Friederich; zu den Zeitbildern, v. Oehler (Beilage zur Zeitung der freien Stadt Frankfurt 1830); zu der allgem. Kirchenzeitung; zur Dorfzeitung (anonym); zum allgemeinen Anzeiger der Deutschen; zu der Predigt-Sammlung für die Gemeinde Mühlhausen; zum homilet. Repertorium v. Hörner; und anderen neueren und neuesten bellestrist. und theol. Zeitschriften. (Von 1817-1831)

S.

 

Anmerkungen

1. Dieser und vorher sein Vater standen zusammen 100 Jahre als Rektoren dem Gymnasium vor. Albr. G. Walch, eine Zierde der weitverbreiteten gelehrten Walch'schen Familie (sie stammt eigentlich aus Lengsfeld, wo der Urahn, M. Tobias Walch, während des dreißigjährigen Krieges, geistl. Inspektor und Prediger war), starb am Abend des 5. Jan. 1822 im 85. Jahre; und hinterließ ein Denkmal (aero perennius) seiner gründlichen, vielseitigen Wissenschaft und Lehrweisheit, als ein ächter Lichtverbreiter, in dem Herzen und Leben seiner zahlreichen Schüler.

2. An diesen erinnerte mich später eine poetische Aufschrift im Freimüthigen 1805. Nr. 245. von einem verehrten Jugendfreunde; in welcher es unter Anderem hieß:

Freudig hab' ich dich wieder erkannt, den Jugendgefährten,
Der seine - Bahn einst mir zur Seite betrat.
Weißt du wohl noch, wie der Chor von blauen wehenden Mänteln,
Oft kaum zu Hälfte bedeckt, singend die Straße durchzog?
Und uns're Schlachten mit Kugeln von Schnee? die klirrenden Fenster,
Die ein unglücklicher Wurf allzugewaltig zerschlug?
Ehrst auch du noch den würdigen Walch, ein dankbarer Schüler?
Er hat mit Liebe den Weg auf den Parnaß dir gezeigt.
u. s. w.

3. Johann Jakob Griesbach (1745-1812), Biblischer Kritiker, 1771 Dozent in Halle, 1776 Professor in Jena, Textrevision des Neuen Testaments

4. Heinrich Eberhard Gottlob Paulus (1761-1851), Haupt des theologischen Nationalismus. 1793 Professor der Theologie und für orientalische Sprachen in Jena. Seine theologische Richtung war eine ausgeprägt verstandesmäßige. Zahlreiche theologische Publikationen, seine Frau war eine damals beliebte Schriftstellerin.

5. Johann Christian Wilhelm Augusti (1772-1841), Protestantischer Theologe, 1803 Professor in Jena, 1835 Konsistorialdirektor in Koblenz „Lehrbuch der christlichen Dogmengeschichte" (1805)

6. Johann Gottlieb Fichte (1762-1814), studierte aus Mitteln des Freiherrn von Militz Theologie, seit 1784 Hauslehrer. Als er 1790 die Philosophie Kants kennenlernte, wanderte er nach Königsberg. Durch seinen „Versuch einer Kritik aller Offenbarungen", der auf Kants Empfehlung gedruckt und, als er anonym erschien, zunächst für ein Werk Kants gehalten wurde, gelangte Fichte 1794 an die Universität Jena, wurde aber 1799 des Atheismus verdächtigt und abgesetzt. Er wurde Professor in Erlangen, Königsberg und erster Rektor an der 1810 in Berlin gegründeten Universität. Fichte ist als Philosoph ebenso bedeutend wie als Staatsdenker und Politiker. Er gehörte zu den Erweckern des Nationalbewußtseins, war aber Republikaner und Gegner des damaligen Obrigkeit- und Fürstenstaates.

7. Friedrich Wilhelm Joseph v. Schelling (1775-1854), Professor in Jena, Würzburg, Erlangen, München und Berlin. Er war ein Freund Hegels und Hölderlins, stand in enger Verbindung zur Romantik und gehört zu den Hauptvertretern des deutschen Idealismus. Im Alter suchte Schelling eine Vereinigung von Philosophie und Theologie zu vollziehen; dabei steht das Problem der Freiheit des Menschen und dessen Verhältnis zu Gott im Mittelpunkt. Er war mit Karoline, geb. Michaelis, verheiratet, die von Schiller wegen ihres zuweilen boshaften Witzes als „Dame Luzifer" bezeichnet wurde.

8. Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836), Mediziner, 1793 Professor in Jena, seit 1809 erster Arzt der Charité in Berlin, Professor an der Universität. Gründer des poliklinischen Instituts. Er genoß wegen seiner Gelehrsamkeit ein seltenes Ansehen bei den Fachgenossen und dem Publikum.

9. Wilhelm v. Schütz (1776-1847), Schriftsteller der Romantik, schrieb Dramen sowie politische und literaturhistorische Schriften (z.B. über Kleist)

10. Heinrich Karl Abraham Eichstädt (1772-1848), Professor der Philologie, 1803 Professor der Beredsamkeit und Dichtkunst in Jena. Damals bekannt als Latinist in Reden und Gelegenheitsschriften.

11. Heinrich Stephani (1761-1850) Protest. Theologe und Pädagoge der Aufklärung, wirkte in Bayern als freisinniger Kirchen- und Schulreformer, geriet in Konflikt mit der Kirche und wurde 1834 suspendiert. Er versuchte, die moralisch-sittliche Erziehung rationalistisch zu fundieren. Zahlreiche pädagogische Veröffentlichungen, bemerkenswert seine Schrift „System der öffentlichen Erziehung" (1805, 21813), Herausgeber der Zeitschrift „Deutscher Schulfreund".

12. Johann Gottfried v. Herder (1744-1803), Kulturphilosoph, Historiker, Ästhetiker und Dichter. Er war Lehrer und Prediger in Riga, reiste von dort über Nantes und Paris nach Straßburg. Hofprediger in Bückeburg und seit 1776 durch Vermittlung Goethes Generalsuperintendent in Weimar, 1801 Oberkonsistorialrat. Herder lehrte, daß zwischen Natur und Menschengeschlecht ein tiefer Zusammenhang bestehe. Diesen wieder freizulegen, bedeute wahre Kultur („Humanität"). Er war der Anreger des „Sturm und Drang" und legte mit seinen Gedanken die geistigen und stofflichen Grundlagen zur Romantik.

13. Es gehört auch durch Güter und sonstige Beziehungen Hessen - wie Sachsen - an; und namentlich für Hessen sind ausgezeichnete Staatsmänner, wie Johann Christian, Freih. v. Boyneburgk, und dessen Sohn, Philipp Wilhelm Reichsgraf zu Boyneburg. (Siehe Strieder's Hess. Gel. Gesch. II. Thl. S. 497.) und berühmte Heerführer, wie Konrad v. B. zu Bischhausen (der kleine Heß genannt), und Karl v. Boyneburg Hohenstein, der in der Schlacht von Höchstädt (1704) den Marschall Tallard gefangen nahm, aus dieser uralten angesehenen Familie hervorgegangen.

14. Er ging später nach Frankreich zurück, und erhielt seine in der Revolution verlorenen Besitzungen - dem Vernehmen nach - wieder.

15. Dem noch lebenden Kurhess. geh. Regierungsrathe, Freiherrn von Boyneburg

16. Hierbei entsinne ich mich, daß Schiller einst mit Göschen freundlich darüber stritt: ob es nicht für den Schriftsteller ehrenvoller und angenehmer wäre, wenn seine Werke nur im Manuskript, von Hand zu Hand, so weit Nachfrage darnach wäre, zu wahrhaft gebildeten Zirkeln gelangten; statt, daß sie durch den Buchhandel Jedermanns und auch des Kritikasters Eigenthum würden, der sie dann oft mit eben so ungebührlichem Lobe als Tadel öffentlich beschmutze? G. war nicht dieser Meinung, und auch dem unsterblichen Dichter, so geistvoll er seine Behauptung verfocht, war es wohl kein rechter Ernst damit.

Georg Joachim Göschen (1752-1828), Buchhändler, gründete 1785 in Leipzig die G. J. Göschensche Verlagshandlung, die durch Gesamt- und Einzelausgaben von Klopstock, Wieland, Goethe, Iffland u.a. berühmt wurde.

17. Jean Paul, eigentlich Jean Paul Friedrich Richter, (1763-1825), Dichter, Theologe, war zuerst Haus- und Elementarlehrer bis ihm 1794 der steigende Erfolg seiner Romane ein freies Schriftstellerleben ermöglichte. 1798-1800 weilte er in Weimar, wo er sich mit Herder befreundete, jedoch von Goethe und Schiller distanziert behandelt wurde.

18. Der geniale St. Schütze, zu Weimar, mein strengster Rez. in der Jen. Lit. Zeit., schrieb mir späterhin: „zu vieles Lob muß durch gehörigen Tadel ausgeglichen werden." Ich wurde in der Folge näher mit ihm befreundet, und lieferte auf seinen Wunsch mehrere Beiträge zu seinem bekannten Taschenbuch.

19. Christoph Martin Wieland, (1733-1813), Dichter des deutschen Rokoko, Jurastudium in Tübingen, war nach einem Aufenthalt in Zürich seit 1772 in Weimar (zuerst Erzieher des Prinzen Karl August). Er hatte ein gutes Verhältnis zu Goethe. Wieland begründete die moderne deutsche Erzählprosa und wurde führend in der Literatur der deutschen Aufklärung.

20. Friedrich v. Matthisson, (1761-1831), Lyriker, seine Gedichte, die von Haller und Klopstock beeinflußt waren, waren seinerzeit sehr beliebt.

21. Johann Christoph Friedrich v. Schiller (1759-1805), meistgespielter Klassiker der deutschen Bühne, Dramatiker des deutschen Idealismus, der die leidende Natur des wollenden, handelnden Menschen in ihrer Tragik wie in ihrer sittlichen Freiheit vergegenwärtigt. Schiller kam 1789 nach Jena, wo er auf Vermittlung von Goethe eine Professur annahm. 1799 übersiedelte er nach Weimar. Er gab wie auch Goethe und Christian Schreiber verschiedene Werke bei dem Verleger Friedrich Cotta heraus.

22. Mit Cotta (von Cottendorf), der mich stets mit seinem Wohlwollen beehrte, ist deßhalb auch schon länger ein Kontrakt geschlossen worden.

Johann Friedrich Freiherr Cotta von Cottendorf (1764-1832), einer der bedeutendsten Verleger Deutschlands, Verleger Goethes und Schillers, Begründer der „Allgemeinen Zeitung"

23. Gemahlin des damaligen verehrten Kanzlers und Geheimraths, Ludwig von Bechtolsheim, die, fast 100 Jahre alt, 1847 in Eisenach starb

24. Julie Freifrau von Bechtolsheim, geb. Gräfin v. Keller (1751-1847 in Eisenach). Sie war Wielands Freundin „Psyche" und zählte zu Goethes ersten weimarischen Bekanntschaften. Als Verfasserin lyrischer Gedichte geschätzt. Ihre Zirkel waren sehr beliebt.

25. Deren Mitgehülfe für das Eisenach'sche Oberland unter unmittelbarer Leitung Ihrer Kaiserl. Hoheit ich zu seyn die Ehre (und Freude) habe.

26. Und durch Eisenach führt eine Hauptstraße von Deutschland.

27. Deren Begleiter (1805) durch Deutschland, England und Italien ich nach ihrem Wunsch und Antrag hätte werden können, wenn nicht unnötige Bedenklichkeiten mich daran gehindert hätten. Noch von Berlin aus schrieb mir die geistvolle äußerst lebhafte, in Vielem imponirende Frau durch Benj. Constant, und forderte meinen Entschluß; von welchem ein mir jetzt noch unerklärliches Etwas mich zurückhielt. A. W. Schlegel wurde dann zu dieser Stelle berufen, der sie auch, schon wegen seiner größern Kenntnis der neueren Sprachen, würdig auszufüllen vermochte.

28. Anne Louise Germaine Baronne de Staël-Holstein, genannt Madame de Staël (1766 Paris - 1817 Paris), Tochter des französischen Finanzministers Jacques Necker. Sie wurde im Salon ihrer Mutter schon frühzeitig mit den führenden Persönlichkeiten der Zeit bekannt, floh vor der Revolution nach Coppet am Genfer See, wo sie sich dort mit Benjamin Constant befreundete. Um 1800 unterhielt sie den führenden Pariser Salon wurde aber wegen ihrer Deutschland-Freundlichkeit von Napoleon 1803 aus Paris verbannt. Sie reiste nach Deutschland, wo sie längere Zeit in Weimar verweilte und u.a. Goethe, Schiller, Wieland, Fichte und die Brüder Schlegel kennenlernte. 1805 reiste sie nach Italien. Seit dieser Zeit war August Wilhelm v. Schlegel ihr Begleiter. Ihr Hauptwerk „De l'Allemagne" prägte für lange Zeit die französischen Vorstellungen von Deutschland als einem verträumten Land von Dichtern und Philosophen.

August Wilhelm v. Schlegel (1767-1845), Dichter, Kritiker, Philologe, Mitstreiter Schillers, seit 1798 Professor in Jena und mit seinem Bruder Friedrich Herausgeber der Zeitschrift „Athenäum", die Mittelpunkt des frühromantischen Kreises wurde. Er schuf die klassischen Shakespeare-Übersetzungen und begründete als Professor in Bonn ab 1818 die Indologie in Deutschland.

29. Gottfried Christoph Härtel (1763-1827), Buchhändler, gründete 1799 die „Allgemeine Musikzeitung". Er übernahm 1800 das Geschäft Breitkopf in Leipzig, das seitdem bis heute als Buch- und Musikverlag „Breitkopf und Härtel" firmiert.

30. Stadt Lengsfeld; (zu unterscheiden von Schenk-Lengsfeld; Langenfeld; Langefeld im Voigtlande; und anderen ähnlich klingenden Orten); das Städtchen liegt (wie in Cannabichs schätzbarer Geographie kurz aber nicht ganz richtig angegeben ist) in einem ziemlich breiten romantischen Thale, am Fuße des Baiers, einem Vorberge das basaltischen Rhöngebirgs. Es zählt in 300 Häusern etwas über 2000 Seelen, unter welchen 1450 Lutheraner, 500 Israeliten, 30 Katholiken und 40 Reformierte sind.

Eisenach, Bacha, Bad Liebenstein, wo ich einigemal mit dem verehrungswürdigen Rochlitz, dem zu früh verblichenen Ernst Wagner, u. A. herrliche Tage verlebte, Salzungen, Meiningen und Fulda sind im Umkreise nicht allzuweit davon entfernt.

31. Die ohnehin, wie Stephani in seiner oben angeführten Schrift bemerkt, keine allzuschwere Wissenschaft ist (die Rechtswissenschaft, als eine besondere, davon ausgenommen, zu deren umfassendem und gründlichem Studium wohl kaum ein ganzes Leben mehr ausreichen möchte). „Sie scheint nur schwer, weil man sie nicht kennt; und muß leicht aufzufassen seyn, weil sie den Beruf hat, eine der allgemeinsten Wissenschaften zu werden."

32. Das in der A. L. Z. einigen Widerspruch; in vielen anderen - besonders in den von jüdischen Gelehrten herausgegebenen - Zeitschriften, vorzüglich der Sulamith, Anerkennung und volle Zustimmung gefunden.

33. Der vorletzte war Christian Müller, aus Halle, Einer von Niemeyers Lehrern; der letzte, Joh. Jak. Plitt, aus Hessen; beide noch im rühmlichsten Andenken.

34. Eine meisterhafte Rezension desselben von unserem Justi findet sich in der Allgem. Lit. Zeitung; Jahrg. 1816. (oder 1817?) Erg. Bl. Nr. 72.

35. Die unfreundlichen, wo so viel mit den Leuten gezankt, oft selbst der Pfarrer und Schullehrer vor der Gemeinde blos gestellt wird, sind mir von jeher zuwider gewesen. Sie erbittern nur, und nützen nie. Nur Sanftmuth, Heiterkeit und liebevoller Ernst können bei diesem - in mancher Beziehung so oft gemißbrauchten - Geschäfte Gutes wirken. S.

Hr. Kirchenrath Dr. Schreiber ist seit 1815 Superintendent der Diözesen Lengsfeld und Dernbach, an der Eisenachisch-Hess. Gränze. J.

36. Der reine, konsequente Rationalismus, zu welchem ich mich stets bekannt habe, schließt eben deshalb den wahren Supernaturalismus nicht aus; sondern führt vielmehr zu ihm. Wo das begrenzte menschliche Wissen aufhört, da eröffnet ja die Vernunft selbst die Welt des Glaubens und der Ideale, in welcher jedoch ihr Stab der alleinige sichere Führer ist. Sie verwirft das Historische des Christenthums so wenig, als das Providentielle (das ) in der Weltgeschichte überhaupt. Aber sie sichtet das Geschichtliche von Mythen und Fabeln, und legt nicht sowohl darauf Werth, worüber man sich sonst, in weniger hellen Zeiten, gewundert hat, als auf das, was der forschende Verstand noch jetzt und immer bewundern muß.

37. Man konnte auf unserem Baier deutlich einige hundert Feuer zählen, ohne die, welche am äußersten Horizont in Einen Glanz zerflossen.

38. Klaus Harms (1778-1855), strenggläubiger Lutheraner. Veröffentlichte 1817 anläßlich der Reformationsfeier 95 Thesen gegen den Rationalismus und die Unionsbestrebungen in der luth. Kirche. Diese Schrift wurde heftig kritisiert.

39. Harms, dem es offenbar nicht an Genialität, wenn auch an philosophischem Durchblick fehlt, predigte vor einigen Jahren - auf einer Erholungsreise - in meiner Nähe, mit großem Beifall. Er hat etwas Apostolisches in seinem Wesen. Junge Prediger könnten viel aus seinen Reden lernen, wenn sie seine natürliche Beredtsamkeit von seiner gekünstelten Dogmatik immer gehörig zu unterscheiden wüßten.

40. Mit Verehrung muß ich hier des um unser Kirchen- und Schulwesen vielfach verdienten Präsidenten Deurer sowie des Ober-Konsist. Raths und General-Superint. Dr. Nebe zu Eisenach erwähnen; dessen Niemeyer (leiblich und geistig verwandt mit ihm) am Schlusse seiner Deportationsreife (Bd. II) so ehrenvoll gedenkt.

41. Die Freude, in von Anderen veranstalteten Sammlungen und Blumenlesen aus der deutschen Literatur (z. B. die von Pölitz) mehrere meiner Lieder mit aufgenommen zu sehen, habe ich oft gehabt; vor Kurzem noch, als mir die in und für Frankreich herausgegebene „Sammlung auserlesener Stücke aus der schönen Literatur der Deutschen", von Roël (Gen. Insp. der königl. Universität v. Frankreich), und dem bekannten Literator Ehrenfried Stöber (Paris u. Straßb. bei Levrault; rue de la Harpe 1827) zu Gesicht kam. Auch aus der französischen, englischen, italienischen Literatur u. a. hat jener unermüdete Staatsmann und Gelehrte ähnliche, in Frankreich mit Beifall aufgenommene, Chrestomathieen herausgegeben. Man findet sie, jede in 2 Oktavbänden, sämmtlich bei Lenormant in Paris.


 

© 2011 ANDREAS ERBSLÖH