ZWEI GENERATIONEN
LEBENSBESCHREIBUNGEN DER NAMENSTRÄGER IM STAMM ALBERT

Albert Erbslöh besuchte die Realschule in Barmen bis zur Prima und lernte zunächst auf dem Gut Brodhagen bei Bielefeld einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb kennen. Von Herbst 1864 bis 1867 machte er eine dreijährige Lehrzeit auf dem Rittergut Ausche, Kreis Liegnitz durch. Von 1867 bis 1868 war er Verwalter auf dem Gut Richnow bei Landsberg a. d. Warthe, um anschließend die Landwirtschaftlichen Akademie in Poppelsdorf bei Bonn zu besuchen. Er trat 1869 als Einj.-Freiwilliger in das II. Garde-Ulanen-Regiment Berlin ein und machte bei ihm den deutsch-französischen Krieg 1870/71 mit. Nach Aufenthalt auf der Königlichen Domäne Dalheim bei Paderborn zwecks weiterer landwirtschaftlicher Ausbildung hielt er sich zum Studiums der Technik des Brauerei-Wesens in Dortmund und München auf.

1873 siedelte er nach Eisenach/Thüringen über, wo er die „Brauerei Petersberg" errichtete, die bis 1892 unter der Firma Schuchard-Erbslöh Privatbesitz war, danach als „Vereinigte Eisenacher Brauereien, Petersberger und Schloßbrauerei AG" unter seiner Leitung stand. Die Familie wohnte in einer wunderschönen Villa in der Eisenacher Goethestraße.

Im Spätsommer 1882 lud Albert seine Geschwister und seine Mutter zum „Geschwisterkongreß" nach Eisenach. Es war zwei Jahre nach dem Tod von Vater Julius, und man kann sich vorstellen, was es für Mutter Adelheid bedeutete, alle neun Kinder bei sich zu haben. Schwerer vorstellbar ist es für uns heutige im Düsenzeitalter, unter welchen Umständen damals so ein Treffen zustande kam, denn, wie die Chronik berichtet, kamen die Geschwister „von Amerikas fernem Gestade, von der Wupper geschäftigem Strand, aus Magdeburgs weiter Ebene, aus Rübezahls fruchtbarem Land."

Ewald Erbslöh, der jüngste im Kreis, hat in Versform den Ablauf der Tage geschildert: Die überaus stürmische Begrüßung, denn Adolf und Anna hatten sich „fünf lange Jahr' nicht geseh'n". Das Treffen fand in Alberts Haus statt. Wer dort nicht Platz fand, war im Gasthof „Zum Goldenen Löwen" einquartiert worden. (Später Gedenkstätte, 1869 fand dort die Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei statt.)

„Zum Photographen lenkt man dann die Schritte, wie hätte es auch anders können sein, als daß wir nach der guten alten Sitte, zusammen ließen uns abkonterfei'n." Die gemeinsamen Spaziergänge, das Essen im „Löwen" mit Aal, die „Inspection" von Alberts Brauerei auf dem Petersberg und vor allem das ungeduldige Warten auf Post von Hugos Braut Adele, sind mit herzerfrischendem Humor erzählt. Humor - eine typische Eigenschaft der Familie, zeigt sich auch in der Idee, alle Familienmitglieder auf die Waage zu stellen: Der Schwergewichtigste war Johannes Weiß mit 173 Pfund, „schlank wie eine Tanne" war Anna mit 114 und die leichteste Person war Klara mit 111 Pfund. Selbstverständlich waren die angeheirateten „Familienveredler" miteinbezogen, wenn sie auch nicht alle am Geschwisterkongreß teilnehmen konnten. So ging ein poetischer Gruß an Alberts Schwiegereltern:

„Einen guten Schwiegervater - unser Bruder Albert hat er," und prompt kam die Antwort: „Wir unterdes den Acker pflügen, daran laß, Mutting, Dir genügen . . ." Mit dem Wunsch auf weitere glückliche Familientage schließt der Bericht.

Albert nahm nach 20jähriger Dienstzeit als Landwehr-Premier-Leutnant (Oberleutnant) seinen Abschied als Reserve-Offizier des Thüringischen Ulanen Regiments Nr. 6 und wurde 1893 zum Großherzogl. Sächsischen Kommerzienrat ernannt. Mehr als zwanzig Jahre war er als Bezirksausschuß-Abgeordneter ehrenamtlich tätig. Im Alter von 64 Jahren verstarb er an Lungenentzündung.


Erbslöh, Heinrich Albert

Brauereibesitzer, Großherzogl. Sächsischer Kommerzienrat in Eisenach, geb. am 06.01.1848 Barmen/Rheinland, gest. am 02.03.1912 Eisenach/Thüringen

Über Johanna Erbslöh ist nicht mehr viel bekannt. Sie wurde auf dem Gut Wietersheim bei Minden in Westfalen geboren. Ihr Vater war hier Gutspächter. Sie war eine ausgesprochen frauliche Erscheinung, wurde in der Familie „die schöne Johanna" oder liebevoll „Hänschen" genannt. Sie liebte das Leben in der schönen Eisenacher Villa in der Goethestraße, verkaufte diese jedoch nach dem Tode ihres Mannes Albert, da sie sich in dem großen Haus verloren vorkam. Johanna starb im Alter von 62 Jahren an Darmverschluß. Im Familienbericht des Familienverbandes Julius Erbslöh berichtet der Schriftführer Carl Hugo Erbslöh: „Unsere teure Schwägerin Johanna ist nach kurzer Krankheit unserem lieben Bruder Albert in die Ewigkeit gefolgt.

In voriger Woche wurde sie plötzlich von dem schweren Leiden, welches sie vor 8 Jahren heimsuchte, das aber gänzlich aufgehoben schien, wieder befallen. Eine von einem hervorragenden Arzte gleich vorgenommene Operation hat den erhofften Erfolg nicht gehabt. Es trat ein Schwächezustand ein und am 13. ds. abends 8 Uhr ist sie sanft entschlafen.

Hans und Frida waren auf die Nachricht von ihrer Erkrankung aus Neustadt und Gr. Lichterfelde nach Eisenach geeilt. Wie schwer sie und Hildegard der Verlust der geliebten Mutter, die so ganz ihrem Wohlergehen lebte, trifft, fühlen wir mit ihnen. Uns Alte erfüllt es mit tiefer Wehmut im Angedenken an die lange Reihe von Jahren, in denen sie uns in Freud' und Leid mit ihrem reichen heiteren Gemüte eine so liebevolle, teilnehmende, von uns geliebte Schwägerin war, daß wir sie nun entbehren müssen, und ihr Gedenken wird auch bei ihren Nichten und Neffen, deren Ergehen sie mit soviel Teilnahme im Frieden wie in der gegenwärtigen Kriegszeit verfolgte, als das einer liebevollen, verehrten Tante fortleben. So wird denn unser Name, der sich in Eisenach während 45 Jahren einen guten Klang erworben und erhalten hat, dort erlöschen."

Johannas Vetter war der Eisenacher Maler Felix Schuchard, für die Erbslöh-Kinder Marie-Luise, Günther und Irmgard deren „Onkel Felix". Viele seiner Bilder und Mitbringsel von diversen Reisen (Ägyptischer und Chinesischer Wandbehang) hängen noch heute in den Wohnungen der Familien. Felix Schuchard wurde am 26. April 1865 auf dem Trenkelhof bei Eisenach geboren. Sein Vater besaß zusammen mit Albert Erbslöh die alte Brauerei auf dem Petersberg. Nachdem Felix am Eisenacher Realgymnasium das Abitur abgelegt hatte, nahm er an der Kunstakademie Düsseldorf ein Studium auf. Nach weiteren Studien in München ging er nach Italien. 1896 war er bereits in Maderno, wo er sich am Südwestufer des Gardasees ansiedelte. 1920 kehrte Felix nach Eisenach zurück, durch die Inflation hatte er sein Vermögen verloren. Fortan lebte er dort als freischaffender Maler bis zu seinem Tode am 19. April 1944.

Johanna Erbslöh,
geb. Schuchard

Hausfrau, geb. am 18.11.1855 Gut Wietersheim bei Minden/Westfalen, gest. am 13.05.1918 Eisenach/Thüringen

Am 5. August 1941 schrieb Hans Erbslöh dienstlich seinen Kurzlebenslauf: „Lebenslauf des Hauptmanns der Res. a. D. Hans Erbslöh, Eisenach: Ich, Hans Waldemar Erbslöh, bin am 08.02.1880 als Sohn des Brauereibesitzers Albert Erbslöh und seiner Ehefrau Johanna geb. Schuchard in Eisenach geboren. Von Ostern 1886 ab besuchte ich die Vorschule und anschließend das Karl-Friedrich-Gymnasium in Eisenach, an dem ich Ostern 1899 die Reifeprüfung ablegte. Ich studierte die Rechte an den Universitäten Heidelberg, Berlin, Leipzig und Jena und bestand im Februar 1903 das Referendarexamen." (Anmerkung: Danach dem Amtsgericht Eisenach zugeteilt) „Im November 1908 legte ich die Assessorenprüfung ab" (Anmerkung: Anschließend Assessor bei den Staatsanwaltschaften Weimar, Apolda und Neustadt a. d. Orla sowie beim Staatsministerium Weimar) „und wurde im Januar 1918 zum Großherzogl. Sächs. Bezirkskommissar ernannt. Vom Oktober 1903 bis Oktober 1904 genügte ich meiner Militärdienstpflicht beim 1. Thür. Feldartillerie-Reg. 19 in Erfurt und wurde am 15.12.1906 zum Leutnant der Res. dieses Regiments ernannt. Vom August 1914 bis April 1918 habe ich am Weltkrieg teilgenommen. Am 15. Februar 1918 wurde ich zum Hauptmann der Res. befördert. Seit 1918 bin ich als Bezirkskommissar und seit Oktober 1921 als Regierungsrat zur Zeit beim Landrat in Eisenach tätig. Seit dem 15.03.1917 bin ich mit Martha Appelius, Tochter des Geh. Justizrats Dr. Appelius und seiner Ehefrau Therese geb. Sältzer in Eisenach verheiratet. Der Ehe entstammen 1 Sohn und 2 Töchter." Am 30. September 1945 wurde Hans durch die kommunistische Besatzungsmacht aus dem Verwaltungsdienst entlassen.

Hans Waldemar Erbslöh wurde im Hause seiner Eltern, Albert Erbslöh und Johanna, geb. Schuchard, in der Goethestraße in Eisenach als ältester von drei Geschwistern geboren. Nach drei Jahren Vorschule trat er 1889 in das Humanistische „Carl-Friedrich-Gymnasium" (Lutherschule) am Predigerplatz ein, das später auch sein Sohn Günther besuchte. Obwohl Hans kein „Musterschüler" war, stellte er seinen Sohn mit seinen Griechisch- und mit fast 80 Jahren seinen Enkel mit Lateinkenntnissen weit in den Schatten. Dabei kam ihm sein bemerkenswert gutes Gedächtnis zugute.

Bemerkenswert war auch sein Sinn für Humor und Geselligkeit, der ihm in seiner Jugend den Ruf eines „Maitre de plaisir" eintrug. So erzählte er oft schmunzelnd, daß er bis zu seiner eigenen Eheschließung auf 31 Hochzeiten getanzt hätte. Sehr gern berichtete er über seine fröhliche Studentenzeit (1899-1902) als Korpsstudent bei einer schlagenden Verbindung in Jena, Berlin und Heidelberg. Sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn und seine unbestechliche Korrektheit waren die besten Voraussetzungen für das Jura-Studium.

Später nahm diese Korrektheit Formen an, die seine Frau bewunderte, seine Mitarbeiter schätzten, seine Kinder jedoch oft kritisierten oder belächelten. So mußte die damals zwölfjährige Tochter, als sie dem Vater freudestrahlend erzählte, sie wäre umsonst mit der Straßenbahn gefahren, weil der Schaffner in der überfüllten „5" nicht zum Kassieren durchgekommen sei, zurücklaufen, warten bis die „5" die Haltestelle passierte, und dem verblüfften Fahrer die 10 Pfg. nachzahlen.

Nach Ablauf seiner einjährigen Militärzeit (1903-1904) war Hans als Referendar und Assessor beim Amts- und Landgericht in Eisenach, bei der Staatsanwaltschaft in Weimar und in den Bezirksdirektionen Apolda, Weimar und Neustadt/Orla tätig. Im 1. Weltkrieg tat er von 1914-1918 als Oberleutnant und Hauptmann der Reserve seine Pflicht. In die Kriegszeit fiel auch seine Hochzeit mit Martha Appelius. Mit dieser Heirat ging ein Wunsch der befreundeten Familien Erbslöh und Appelius in Erfüllung. Sein späterer Schwiegervater, Dr. Alfred Appelius, schreibt am 21. Januar 1916 aus dem Felde an seine Frau Therese:

„Gestern war ich mit Hans Erbslöh vereint und er hat mir mitgeteilt, daß er sich mit Martha gefunden und verlobt habe. Ich kann wohl sagen, daß ich mich dieses Ereignisses von ganzem Herzen freue, bringt es doch die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches von mir. Hans Erbslöh ist mir der sympathische Schwiegersohn, ich habe das Vertrauen zu ihm, daß er unser Marthel glücklich machen wird und daß auch wir mit ihm gut auskommen werden.

Also freuen wir uns. Das Brautpaar wünscht, die Veröffentlichung bis zum Frieden zu verschieben. Ich billige das. Um dem Wunsche aber gerecht zu werden, wollen wir die Tatsache der Verlobung auf nur unter uns beide, der Großmutter und Mutter Erbslöh berühren, im übrigen den Zustand der Vermutung wie bisher belassen. Vielleicht feiern wir ganz unter uns die Verlobung nächsten Sonntag, d. h., den 30. d. M. in Frankfurt, wenn nämlich Hans vor seiner Rückkehr nach der Front Urlaub bekommt und Marthel sich einige Stunde losmachen kann. Dies in die Wege zu leiten, wird Hans versuchen. Nähere Nachricht erhältst Du noch.

Ich denke mir, auch Du, meine liebe Therese, freust Dich über diese Gestaltung der Dinge. Einen Schwiegersohn zu bekommen, ist ein Wort. Unser erster aber macht uns die Sache leicht. Wir schätzen ihn und seine Familie, es paßt zu uns auch Charakter und Gesinnung, wir haben das Recht ihm zu vertrauen, daß er unser Marthel glücklich machen wird. Na also, mein Thereslein, sei gegrüßt in der neuen Rolle der Schwiegermamama. Werde eine gute, wie Du mir eine gute Frau bist."

Der Krieg zog sich länger hin als erwartet, und so heiratete das Paar während eines Fronturlaubs am 15. März 1917. Drei Jahre später siedelte die inzwischen auf drei Personen angewachsene junge Familie von Neustadt/Orla, wo Hans seit 1918 als Bezirkskommissar arbeitete, nach Eisenach über. 1921 erfolgte seine Ernennung zum Regierungsrat und Stellvertreter des Landrats im Kreisamt. Für seine Kinder (1918, 1921, 1924 geboren) bedeutete es ein besonderes Erlebnis, wenn sie mit über Land fahren durften, wo der Vater regelmäßige Sprechtage abhielt. Auf den Dörfern wurde der „Beamte aus der Stadt" nicht nur vom Bürgermeister, sondern vor allem von den ratsuchenden Bauern geschätzt. Leider erfuhr die Familie absolut nichts von seiner sicher interessanten beratenden Tätigkeit, weil nach seiner strengen Auffassung die Gespräche unter das „Dienstgeheimnis" fielen. Seine Korrektheit ging soweit, daß er es in den Nachkriegshungerjahren strikt ablehnte, sich an den damals üblichen „Hamsterfahrten" zu beteiligen und bei den ihm wohlgesonnenen Bauern nach Kartoffeln zu fragen. Ein Versuch, zu dem ihn die hungrige Familie schließlich überredete, scheiterte kläglich.

Als er 1945 in den Ruhestand trat, überfiel ihn - zu seiner eigenen Verwunderung - heftiges Rheuma. Es war das einzige Leiden seines Lebens bis auf eine Blinddarmvereiterung in jüngeren Jahren, und hielt ihn einige Zeit von seinen geliebten Wanderungen im Thüringerwald ab. Seine besonderen Interessen galten der Historik, der Heimat- und Stadtgeschichte. Er bekleidete verschiedene Ehrenämter u.a. im Vorstand des Deutschen Roten Kreuzes, im Geschichtsverein, Wartburgbund und Altherrenbund der Studentenschaft. Nach kurzer Krankheit starb Hans Erbslöh am 12. November 1963 in Eisenach an Krebs.

Hans Waldemar Erbslöh

Regierungsrat in Eisenach, geb. am 08.02.1880 Eisenach/Thüringen, gest. am 12.11.1963 Eisenach

Die „Lübbecker Nachrichten" berichten am 24.8.1967:

„80 Jahre alt. Espelkamp (ho). Bei guter Gesundheit kann heute die Witwe Martha Erbslöh, geb. Appelius, wohnhaft Rahdener Str. 7b, das 80. Lebensjahr vollenden. Zusammen mit ihrer Schwester Johanna (74) verbringt die Jubilarin ihren Lebensabend. Martha Erbslöh stammt aus Eisenach. Sie erlernte den Schwesternberuf, in dem die Jubilarin bis zu ihrer Verheiratung mit dem Regierungsassessor und späteren Regierungsrat Hans Erbslöh tätig war. Ihren Wohnsitz hatte die Familie weiter in Eisenach. Aus der Ehe gingen drei Kinder, ein Sohn und zwei Töchter hervor. Der Sohn, bereits verheiratet, starb im besten Mannesalter. Die Töchter wohnen heute in Lüneburg und Bonn. Vier Enkelkinder gehören zu den Nachkommen von Martha Erbslöh, deren Mann 1962 in Eisenach im Alter von 83 Jahren verstarb. Zwei Jahre später zog die Jubilarin mit ihrer Schwester nach Espelkamp, wo heute auch ihre Schwiegertochter, die wieder verheiratet ist, wohnt."

(Anmerkung: Der Artikel enthält einen Fehler: Ihr Mann verstarb 1963. Im folgenden Jahr verzog Martha Erbslöh nach Espelkamp).

Martha Appelius, Tochter von Alfred und Therese Appelius, war das erste von sechs Kindern. Als Älteste wurde sie von klein auf von ihren jüngeren Geschwistern, die sie als Vorbild betrachteten, respektiert. So entwickelte sie schon früh Verantwortungsbewußtsein und sorgte von sich aus für die Kleinen, obwohl im Hause Appelius genügend „Personal" zur Verfügung stand. Nach vier Vorschuljahren kam Martha in die „Höhere Töchterschule" am Theaterplatz in Eisenach, die auch ihre Mutter schon besucht hatte, und die später, als „Karolinenlyzeum-Reform-Realgymnasium für Mädchen", ihre Töchter absolvierten.

Wenn auch die Lehrer wechselten, so verband doch die gemeinsame Schule und mancherlei Erzählung drei Generationen. Schon in der ersten Klasse gewann Martha Freundinnen, mit denen sie bis ins hohe Alter in Verbindung blieb. Die Verbundenheit wurde noch durch gegenseitige Patenschaften für die Kinder vertieft. Enge Freundschaft hielt sie auch mit Hildegard Erbslöh (genannt Pudel) aus dem Hause Albert Erbslöh.

Zwischen den Familien Appelius und Erbslöh bestand seit langen Jahren enger Kontakt. Besuche von Haus zu Haus, gemeinsame Feste und Pfingstausflüge in der Kutsche zum Picknick auf der Ottowaldswiese gehörten zur Tradition. So kam es, daß die kleine Martha beim ausgelassenen Spiel der insgesamt neun Kinder in Hans - dem späteren Ehemann - ihren Beschützer fand. Auf das damals übliche Jahr im Mädchenpensionat in Wernigerode/Harz blickte Martha stets gern zurück, zumal sie auch in dieser Zeit Freundinnen fürs Leben gewonnen hatte. Da eine Berufsausbildung für Mädchen früher nicht allgemein üblich war, sie sich aber gern weiterbilden wollte, nahm sie außer dem obligaten Klavierunterricht, Mal- und Nähkursen, auch Stenographie und Schreibmaschinenstunden.

In den Jahren vor dem 1. Weltkrieg, in denen ihr Vater, Alfred Appelius, - wie auch schon Jahrzehnte vorher ihr Großvater Julius Appelius - das Amt des Landtagspräsidenten im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach inne hatte, begleitete sie den Vater nach Weimar, tippte seine Reden und führte bei den Sitzungen für ihn Protokoll. Trotz verantwortungsvoller Aufgaben und gesellschaftlicher Vergnügungen füllte sie das Leben als „höhere Tochter" nicht mehr aus, und sie begann in Frankfurt ihre Ausbildung als Kinderschwester, an die sich die „Große Krankenpflege" anschloß. Im März 1913 legte sie ihr Examen ab.

Im Weltkrieg arbeitete Martha als Stationsschwester im Lazarett in Frankfurt/Main. 1916 verlobte sie sich mit Hans Erbslöh. Bis es im März 1917 zur Kriegstrauung kam, mußten noch mancherlei Schwierigkeiten überwunden werden. So wurde ihrem Bräutigam, der als Offizier im Felde stand, zweimal der beantragte Hochzeitsurlaub gestrichen, und die bereits vorbereitete Haustrauung, dem Pfarrer und den Gästen mußte kurzfristig abgesagt werden.

Die ersten Ehejahre verbrachte das Paar in Neustadt/Orla. Durch Nachkriegsnöte und Inflation war das tägliche Leben sehr erschwert, zumal in diese Zeit die Geburt der ersten Tochter, Marie-Luise, fiel. Da bewährte sich der praktische Sinn, der Optimismus und die Kontaktfreudigkeit der jungen Frau. Sie verstand es, Ziegenmilch für den Säugling zu beschaffen, Kohlrübentorten zu backen, aus Stoff- und Wollresten Kinderkleidung zu zaubern und ihrem überaus korrekten und jeglicher Unregelmäßigkeit abholden Gatten, unbemerkt „Schwarzgeschlachtetes" vorzusetzen.

1921 siedelte die Familie nach Eisenach über, anfangs in ein kleines gemietetes Haus in der Moltkestraße 9 und nach dem Tode der Großmutter Luise Appelius ins Elternhaus, Luisenstraße 2-4. Im Jahr 1921 war der Sohn Günther und 1924 die Tochter Irmgard geboren worden. Wie Martha es schaffte, trotz oft angegriffener Gesundheit, nicht nur den drei lebhaften Kindern eine liebevolle Mutter zu sein, stets die Ruhe zu bewahren, sondern auch immer Zeit, ein offenes Ohr und Verständnis für die Sorgen und Freuden der Nachbarn und Freunde zu haben, ist allen, die sie kannten, ein Rätsel geblieben (Siehe Nachruf im Familienbericht 1968).

Zu ihren häuslichen Pflichten kamen ehrenamtliche Tätigkeiten im Deutsch-Evangelischen Frauenbund, der Frauenschaft, als Mitglied der Prüfungskommission für Hauswirtschaftliche Schulen und Kindergärten. Besonders harte Belastungen brachte der 2. Weltkrieg, der das Haus bis in den Keller mit Flüchtlingen und Umsiedlern füllte, und die Nachkriegszeit mit russischer Einquartierung.

1946 vergrößerte sich der Familienkreis durch Schwiegersohn und Schwiegertochter, die sie nicht nur ‚Mutter' nannten, denen sie eine wahre Mutter war. Eine große Freude bedeutete für sie die Geburt der Enkel. Sie waren für sie ein Trost bei dem so frühen Tod ihres Sohnes Günther 1949. Sein Kind Andreas nahm sie in ihre Obhut, während seine Mutter eine neue berufliche Ausbildung begann. Nach dem Tod ihres Mannes Hans 1963 verließ Martha das Haus in der Luisenstraße, in dem sie ihre Kinder- und Jugendzeit und später fast 40 Jahre verbracht hatte. So schwer ihr der Abschied fiel, so zufrieden lebte sie, zusammen mit ihrer Schwester Johanna Appelius, bis zu ihrem Tode 1968 in Espelkamp.

Martha Erbslöh,
geb. Appelius

Krankenschwester, Hausfrau in Eisenach,
geb. am 24.08.1887 Eisenach/Thüringen, gest. am 19.03.1968 Rahden/Westfalen


© 2001 Andreas Erbslöh